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Asymmetrischer Abnutzungskrieg im „Schlachthaus“ Gaza: CQB, Kommando-Kriegsführung und die neuen „Tunnelratten“ – Videos

Die seit über 26 Tagen andauernde Militäroperation „Protective Edge“ („Schutzlinie“/“Schutzrand bzw. „Fels in der Brandung“) der israelischen Streitkräfte wird trotz einer angekündigten 72-stündigen Feuerpause unvermindert fortgeführt.

Ein israelischer Soldat im Gaza-Streifen. Aufgenommen am 24. Juli 2014. Bild: IDF Bildlizenz.

Ein israelischer Soldat im Gaza-Streifen. Aufgenommen am 24. Juli 2014. Bild: IDF Bildlizenz.

Bisher gelang es der IDF (Israel Defense Forces) nicht, den Raketenbeschuss durch radikalislamische Gruppierungen auf zivile Ziele in Israel vollständig zu unterbinden. Nach israelischen Angaben haben die radikalislamischen Gruppierungen aus dem Gaza-Streifen heraus rund 2.830 Raketen auf israelisches Territorium abgefeuert. Die Luft-, See- und Bodenstreitkräfte Israels haben in dieser Zeit 4.205 Angriffsziele getroffen.

Der Chef des bewaffneten Arms der Hamas, Mohammed Deif, sagte in einer Videobotschaft, dass Israel seine Soldaten „in ein Schlachthaus“ entsende. „Wir haben das zionistische Militär geschlagen“, so Deif weiter in einem Video. Das Hamas-Video zeigt den Angriff auf einen israelischen Wachtposten auf israelischem Territorium durch einen Tunnel (s. Video unten). Weiter zeigt das Video zeigt mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Angriff vom Montagabend, bei dem fünf israelische Soldaten getötet wurden. Die Hamas-Kämpfer scheinen auf einen am Boden liegenden Soldaten zu schießen.

Bei diesem Angriff handelte es sich um den fünften dieser Art. Die Hamas hat sich neben den Raketenangriffen auf Kommandoaktionen konzentriert, vermutlich mit dem Ziel, Israelis zu entführen. Bei einem weiteren Angriff wurden ebenfalls IDF-Soldaten getötet, die Kämpfer der Hamas dann auf ihrem Rückzug bombardiert (s. nachfolgende Videos; eines davon mit Altersbeschränkung). Dabei entdeckte man, dass die getöteten Kämpfer IDF-Uniformen trugen.

Zur Entlastung der kämpfenden Truppe beruft Israel weitere 16.000 Reservisten ein. Zuvor hatte es bereits rund 70.000 Soldatinnen und Soldaten einberufen.

Die israelischen Streitkräfte haben in den vergangenen Tagen die Bewohner mehrerer Stadtteile bzw. Ortschaften im Gaza-Streifen mit Flugblättern, Telefonanrufen und per SMS-Nachrichten aufgefordert, bestimmte Stadtteile zu räumen. Die nächste Stufe der Vorwarnung der Zivilbevölkerung ist das sogenannte Roof-knocking, das man in diesem Videobericht sehen kann.

CQB in Gaza: Spezialkräfte und Fallschirmjäger gegen Tunnel und RPGs

Zurzeit halten die israelischen Streitkräfte einen 3 Kilometer breiten Streifen innerhalb des Gaza-Streifens entlang der gesamten Grenze zu Israel besetzt. Innerhalb dieser Pufferzone suchen sie nach Tunneleingängen. Die Zerstörung der fachmännisch gebauten, weit verzweigten, mit Beton verschalten und mit Luft- und Stromversorgung ausgestatteten Tunnel ist eines von Israels Kriegszielen. Die Tunneleingänge liegen in den bewohnten Gebieten, d.h. in Privathäusern, einige entdeckte man in Schulen, Moscheen und in Einrichtungen der des UN-Flüchtlingshilfswerkes UNRWA. Daher ist das Vordringen oft mit Orts-, Häuser- und Nahkampf (Close Quarter Battle, CQB) verbunden. Einige vergleichen die Häuserkämpfe mit denen der US-Spezialeinsatzkräfte 1993 in der Schlacht von Mogadischu.
Einen Eindruck des Gefechtsraumes vermittelt dieses IDF-Video sowie das nachfolgende der Hamas, das einen Treffer bei einem israelischen Kampfpanzer durch eine RPG (Rocket Propelled Grenade) zeigt.

Ein weiteres Hamas-Video zeigt den RPG-Treffer eines Hauses, in dem israelische Soldaten vermutet wurden.
Über den Einsatz von israelischen Spezialkräften bei den Operationen im Gaza-Streifen existieren nur wenige offiziellen Stellungnahmen. In diesem offiziellen Video der IDF von einem Frontbesuch des Generalstabschefs der IDF sieht man allerdings bei einem Teil der anwesenden Soldaten unkenntlich gemachte Gesichter, was in der Regel auf Spezialkräfte hindeutet. Zu Beginn der Bodenoffensive zerstörten Spezialkräfte nach IDF-Angaben bei einer Nachtoperation einen Raketenwerfer (Video hier). In dem nachfolgenden Video (mit Helmkamera) stürmen israelische, nicht näher bezeichnete Spezialkräfte ein Haus.

Fallschirmjäger operieren ebenfalls im Gaza-Streifen. Dabei bekämpfen sie den Gegner auf als auch unter dem eigentlichen Gefechtsfeld. Entdeckte Tunnel werden aufgeklärt bzw. gesprengt, wie die nachfolgenden Videos der israelischen Streitkräfte zeigen.

Ähnlich wie die US-„Tunnelratten“ in Vietnam erkunden einzelne Soldaten die Tunnelsysteme des Gegners. Im Vietnam-Krieg der USA bezeichnete man diejenigen Spezialisten bewundernd als „Tunnelratten“, die mit Pistole, Messer und Taschenlampe das Tunnelsystem des Vietcongs erkundeten.

Ein israelischer Fallschirmjäger in einem Hamas-Tunnel am 20. Juli 2014. Bild: IDF. Bildlizenz.

Ein israelischer Fallschirmjäger in einem Hamas-Tunnel am 20. Juli 2014. Bild: IDF. Bildlizenz.

Der Vietcong legte ein tiefes und ausgeklügeltes Tunnelsystem an, welches sowohl dem Rückzug als auch dem Überraschungsangriff diente. Das Tunnelsystem hatte man bereits im Krieg gegen den Kolonialherren Frankreich gebaut. Im Kampf gegen die US-Streitkräfte wurde es jedoch nach und nach auf mehrere hundert Kilometer erweitert. Im Tunnelsystem des Vietcongs gab es Waffenlager, Krankenhäuser, Schlafunterkünfte, Hauptquartiere und Küchen. Die Tunnel waren im Zickzack angelegt, um kein Schussfeld zu ermöglichen.
Für die „Tunnelratten“ der Amerikaner gab es verschiedene Fallen, wie Sprengfallen, angespitzte Stöcke oder mit Leim befestigte Giftschlangen. Die „Tunnelratten“ stattete man mit schallgedämpften Pistolen aus, damit bei der Schussabgabe ihre Trommelfelle geschützt wurden.

Im nachfolgenden Video steigt ein Infanterist der israelischen Givati-Brigade in das Tunnelsystem der Hamas hinab. Die Givati-Brigade mit ihren drei Bataillonen ist in der Nähe des Gaza-Streifens stationiert und hat an mehreren Anti-Terror-Operationen teilgenommen.

Die Tunnel in Richtung Israel (Karte) haben den Zweck, dass Kämpfer so unentdeckt israelisches Territorium infiltrieren können, die Tunnel in Richtung Ägypten dienen dem Schmuggeln von Waren und Waffen in den Gaza-Streifen. Hier eine sehenswerte Bilderstrecke über die zivil-wirtschaftliche und die militärische Bedeutung der Tunnel im Gaza-Streifen; ein lesenswerter Bericht samt Videoreportage findet sich hier. Den Umfang der Tunnelsysteme, ihren professionellen Ausbau und ihre Zielrichtung zeigen eindrucksvoll verschieden Videoberichte hier, hier, hier und hier. Auf die Bedeutung der Tunnel bzw. die taktisch-operativen Herausforderungen für die israelischen Streitkräfte wies K-ISOM im Vorfeld des Einmarsches mit dieser Meldung hin.
Im Verlauf der Kämpfe sind schätzungsweise 1.400 Einwohner, die meisten Zivilisten, von Gaza und über 60 israelische Soldaten getötet worden. Nach Schätzungen der israelischen Streitkräfte haben sie ca. 1000 Hamas-Kämpfer getötet.

Die Hamas hat das Kämpfen gelernt

Die Verteidigungstaktik der Hamas basiert einem Zeitungsbericht zufolge auf RPG-Angriffen, mit Sprengfallen versehenen Wohnhäusern entlang der israelischen Vormarschrouten sowie vereinzelte Selbstmordattentäter. Bei einem Angriff nutzte die Hamas einen mit Sprengstoff beladenen Esel.
Nach Meinung eines an mehreren Operationen im Gaza-Streifen beteiligten IDF-Soldaten haben die Hamas-Kämpfer ihre Kampffähigkeiten verbessert: sie ziehen sich nicht sofort zurück wie 2008/09 und 2012, sondern bekämpfen aktiv die IDF-Truppen wie es die Hisbollah im Libanon 2006 getan hat. Daher findet nach Ansicht israelischer Experten ein Abnutzungskrieg statt, da man die Hamas militärisch zwar schwächen, aber nicht von der palästinensischen Gesellschaft loslösen könne. Folglich wird es keine politische Lösung durch die Militäroperation geben, sondern nur eine Verminderung der Kampfkraft des Gegners. (ej)