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BND-Lagebild für Afghanistan: schwacher Staat, stärkere Taliban und Spezialkräfte auch nach 2014

Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat nach Angaben des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ in einem geheimen, als Verschlussache eingestuften, Lagebericht eine pessimistische Einschätzung der Situation in Afghanistan dargelegt. Der 21-seitige Bericht mit dem Titel „Afghanistan bis zum Jahr 2014 – ein Prognose“, der dem Nachrichtenmagazin exklusiv vorliegt, wurde im September an die mit Afghanistan befassten Ministerien (Verteidigungsministerium, Auswärtiges Amt, Innenministerium, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) sowie das Bundeskanzleramt verschickt.

Der deutsche Auslandsgeheimdienst unterstellt in seiner Analyse dem derzeitigen Präsidenten Afghanistans, Karzai, eine auf reinen „Machterhalt“ und die „Beibehaltung des Status quo“ ausgerichtete Politik. Korruption, persönliche Vorteilsnahme und Vetternwirtschaft werden sich fortsetzen, zitiert „Der Spiegel“ die BND-Analyse. So wolle Karzai für die Präsidentschaftswahl im Jahr 2014 seinen älteren Bruder als aussichtsreichen Kandidaten durchsetzen. Reformen oder Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung seien dagegen nicht vorgesehen. Der BND wertet die von Karzai gegenüber dem Westen gemachten Versprechungen lediglich als „Absichtserklärungen“.

Die zukünftige Lageentwicklung betrachtet der BND ebenfalls pessimistisch: So habe das Wiedereingliederungsprogramm für Taliban-Kämpfer „keine Auswirkungen“ auf den inner-afghanischen Friedensprozess gezeigt. Da die Taliban nur direkt mit den USA verhandeln wollten und nicht mit der afghanischen Zentralregierung in Kabul, seien bis 2014 „keine größeren Fortschritte“ zu erwarten, so „Der Spiegel“. Laut BND-Einschätzung werden die Taliban den Abzug der ISAF-Kampftruppen abwarten, Insider-Anschläge auf ISAF-Soldaten werden voraussichtlich zunehmen.

In dem Bericht geht der BND davon aus, dass auch nach dem Abzug des Großteils der Truppen noch bis zu 35.000 Soldaten im Rahmen eines Nachfolgemandats für die ISAF in Afghanistan stationiert sein werden, um das Land zu stabilisieren: zur Ausbildung der afghanischen Armee, Kampftruppen für deren Schutz sowie eine hohe Anzahl von Spezialkräften. Die USA werden den größten Truppenanteil stellen, von den NATO-Partnern werden die USA nach derzeitiger Lageeinschätzung rund 10.000 Soldaten erwarten. Wie hoch der Anteil der Bundeswehr an einer solchen Post-ISAF-Mission ausfallen würde, benennt der BND-Bericht nicht.

Die NATO hat beschlossen, bis zum Jahr 2014 alle Kampftruppen aus Afghanistan abzuziehen und die die Sicherheitsverantwortung nach und nach den afghanischen Sicherheitskräften zu übergeben. Die im Oktober zu erreichende Soll-Stärke der afghanischen Kräfte beträgt 352.000, davon 195.000 Afghan National Army (ANA) und 157.000 Afghan National Police (ANP). Das vom Bundesnachrichtendienst zusammengetragene pessimistische Lagebild widerspricht den optimistischen Ausblicken innerhalb der Bundesregierung. Im aktuellen Zwischenbericht vom Juni 2012 des „Fortschrittsberichts Afghanistan“ der Bundesregierung, in dem der derzeitige Stand des deutschen Engagements in Afghanistan dargelegt wird, heißt es, dass sich „im ersten Halbjahr 2012 der positive Trend von 2011 in Afghanistan fortgesetzt“ habe. Zwar bleibe die „Sicherheitslage in Teilen des Landes schwierig“, sie habe sich aber insgesamt leicht verbessert. „Die afghanischen Sicherheitskräfte haben im überwiegenden Teil des Landes die Verantwortung übernommen und zeigen sich dieser Aufgabe insgesamt gewachsen“, heißt es in dem Fortschrittsbericht weiter.

Der bevorstehende Abzug der Kampftruppen und die vom BND prognostizierte Zunahme der Insider-Angriffe von Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte auf ISAF-Soldaten beeinträchtigt in der sogenannten Transitionsphase, in der die Sicherheitsverantwortung auf Afghanistan übergeht, die Mission und die Rolle der ISAF-Kräfte. Nach Einschätzung von Seth Jones, einem Analysten der regierungsnahen RAND Corporation in den USA, werden die zukünftigen Militärberater bei den afghanischen Sicherheitskräften „Schulter an Schulter“ in den Einsatz gehen müssen. Die Insider-Attacken hemmen an dieser Stelle die notwendige Partnerschaft, so Jones weiter.

Auf die veränderte Rolle als Militärberater werden zurzeit rund 1.900 Soldaten der 101. Airborne Division vorbereitet. Die Angehörigen des 1st Brigade Combat Teams werden als eine „Security Force Assistance Brigade“ operieren, um die afghanischen Kräfte auf den Abzug der westlichen Kampftruppen vorzubereiten. Dabei werden sie nicht nur den einheimischen Kräfte die Planung und Operationsführung überlassen, sie werden mit ihren 12-16 Soldaten starken „Assistance Teams“ auch innerhalb der afghanischen Einheiten in der Minderheit sein.

Berichte über BND-Bericht: http://www.spiegel.de/politik/ausland/bnd-rechnet-mit-noch-mehr-anschlaegen-in-afghanistan-a-858783.html; http://www.sueddeutsche.de/politik/bnd-zu-afghanistan-einsatz-duestere-prognose-fuer-die-bundeswehr-1.1483045

Der „Fortschrittsbericht Afghanistan“ der Bundesregierung: http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/620692/publicationFile/169628/120622-Zwischenbericht.pdf

Videobericht der NATO über einen übergelaufenen Taliban-Kommandeur: http://www.natochannel.tv/?uri=channels/381662/1698273

CNN-Interview mit einem Attentäter, der während der Vorbereitungen eines Selbstmordanschlages festgenommen wurde: http://edition.cnn.com/video/?hpt=ias_t4#/video/world/2012/09/28/coren-afghan-suicide-bomber.cnn