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Mobile Geisellage als Live-Event – Das Gladbecker Geiseldrama vor 25 Jahren

Das spektakulärste Verbrechen der deutschen Nachkriegsgeschichte jährte sich in der vergangenen Woche zum 25. Mal. Während der drei Tage, vom 16. bis zum 18. August 1988, hielten die Serienkriminellen Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner bei ihrer Irrfahrt durch drei Bundesländer und in den Niederlanden als Folge eines missglückten Banküberfalls im nordrhein-westfälischen Gladbeck zeitweise über 30 Geiseln in ihrer Gewalt. Degowski erschoss dabei einen 15-jährigen Jungen, Rösner tötete beim Zugriff eine Geisel. Bei einem Verkehrsunfall während der Verfolgung des gekaperten Linienbusses starb ein Polizist (kurzer Videobericht der Ereignisse hier).

Der Polizeieinsatz und die Arbeit der Medien wurden damals scharf kritisiert. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ charakterisiert das Geiseldrama als „multiplen Skandal: ein ruchloses Verbrechen, eine Perversion des Journalismus und das umfassende Versagen der Staatsgewalt.“

Die Polizeibehörden und -einheiten hielten sich bei der Verfolgung der beiden Täter aus verschiedenen Gründen zurück, die Vertreter der Medien tat dies nicht. Diese Gemengelage führte zu einer länder- und staatenübergreifenden Geisellage (Karte hier), bei der es zu einer ständigen Eskalation von Straftaten durch die beiden Geiselnehmer und zu Polizeipannen kam.

Das „Gladbecker Geiseldrama“ begann zunächst ohne Geiseln. Als der geplante schnelle Banküberfall auf eine Filiale der Deutschen Bank in Gladbeck sich deshalb in die Länge zog, weil die beiden Täter mit Bankangestellten auf den Filialleiter – mit dem entscheidenden Schlüssel für den Tresor – warteten, fuhr ein alarmierter Polizeiwagen direkt vor der Bank vor und warnte so die Täter, dass sie entdeckt worden waren. Aus einem schnellen Banküberfall sollte so eine lang andauernde Geisellage werden.

Nach mehreren Stunden ließ die Polizei sie mit Geiseln die Bank verlassen. Zu dieser Zeit konnten bereits die Medien die Geiselnehmer kontaktieren. In Bremen kaperten die beiden einen mit über 30 Personen besetzten Linienbus des öffentlichen Nahverkehrs. Am nächsten Tag hielten die Täter mit einer zugestiegenen Freundin mitten in der Kölner Innenstadt, umringt von Journalisten und Schaulustigen. Dies machte einen SEK-Zugriff zu riskant. Ein Reporter stieg sogar in den PKW und lotste die Geiselnehmer mit ihren Geiseln aus der Kölner Innenstadt auf die Autobahn (Ablauf der Ereignisse hier).

Den Journalisten, die wie die Polizei die Geiselnehmer verfolgten und sie sogar interviewten, warf man vor, aus einem Verbrechen ein Live-Event gemacht zu haben, bei dem sie jegliche Distanz und moralischen Grundsätze verloren und darüber hinaus auch aktiv in das Geschehen eingegriffen hätten. Es kam dabei zu einer Pressekonferenz auf offener Straße (Radiobericht hier). Die Geiselnehmer erfüllen einem Fotoreporter seinen Wunsch, der Geisel noch einmal die Waffe an den Hals zu halten, damit er davon ein Foto machen könne.

Der zentrale Fehler der Einsatzkräfte der Polizei bestand darin, überhaupt erst eine mobile Geisellage zugelassen zu haben. Aufgrund der Erfahrungen von Gladbeck ist es heutzutage ein Grundsatz der Polizei, eine Geisellage vor Ort zu beenden, also keine mobile Einsatzlage entstehen zu lassen. Der damalige Leiter des Dortmunder SEKs, Rainer Kesting, sagte schon vor Jahren in einem Interview, dass seine Einheit damals in der Lage gewesen wäre, die Täter ohne eine Gefährdung der Geiseln in der Gladbecker Bank festnehmen zu können. Auch in Köln hätte sein Team die beiden aus dem Auto herausholen können.

Hinzu kam, dass die damaligen Kommandostrukturen der Polizei nicht auf einen solchen Fall vorbereitet waren, weder organisatorisch noch materiell. (Interview über die Lehren der Polizei). Damals musste die Einsatzleitung der Polizei in Recklinghausen ihre Tätigkeit in einem leeren Raum aufnehmen. Heute verfügt das Land NRW über insgesamt sechs ständige Stäbe, die bei diesen Sonderlagen sofort arbeitsfähig sind.

Der Zugriff auf der Autobahn A3 südlich von Köln durch das SEK-Köln begann mit einem Rammstoß gegen das Fluchtfahrzeug (Bilder des Zugriffs hier). Vorher ließ die verantwortliche Polizei in NRW mehrere Möglichkeiten des Zugriffs verstreichen. Bei der Schießerei zwischen dem SEK und den Geiselnehmern auf der Autobahn stirbt eine Geisel durch einen Schuss von Rösner.

 

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