Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte am 10. Mai in Afghanistan das deutsche Einsatzkontingent (GECON ISAF, German Contingent International Security Assistance Force). Während des Besuches des Feldlagers in Kundus sagte die Kanzlerin anlässlich des ersten kürzlich im Einsatz gefallenen KSK-Soldaten, dass dies ein Rückschlag sei. „Jeder Gefallene ist ein schwerer Schlag für uns“, so Merkel weiter.
Im Ehrenhain des Feldlagers Kundus gedachten Merkel und Verteidigungsminister Thomas de Maizière der gefallenen deutschen Soldaten (Videobericht hier). Im weiteren Verlauf des Besuches sagte die Kanzlerin nach Angaben der Bundeswehr zu den anwesenden Soldaten: „Ich bin mir gerade eben am Ehrenhain und in Gedanken an den vor wenigen Tagen gefallenen Kameraden aufs Neue sehr bewusst geworden, dass Sie Ihren Dienst nicht einfach nur als Pflicht leisten, sondern unter Lebensgefahr.“
Später trafen die Regierungschefin und der Verteidigungsminister fast eine Stunde lang die KSK-Soldaten, die Anfang Mai um ihren ersten gefallenen Kameraden trauern mussten. Die KSK-Soldaten gehören nach Berichten der Bundeswehr zur „Task Force 47“.
Der am 4. Mai gefallene Soldat des Kommandos Spezialkräfte wurde am 8. Mai auf dem Flughafen Köln-Wahn mit einem Ehrenspalier der Einheit ehrenvoll aufgenommen. In einer Pressemitteilung des KSK heißt es: „ Wir verlieren mit ihm einen jungen und einsatzerfahrenen Kommandosoldaten, der sich unserem Auftrag stets in herausragender Weise verpflichtet fühlte. Seine auch in diesem Gefecht bewiesene außergewöhnliche Tapferkeit und Opferbereitschaft zeugen von den besonderen Qualitäten der Soldaten unseres Verbandes, sie sind uns zugleich Verpflichtung für unseren Dienst im Kommando Spezialkräfte.“
Die Trauerfeier für den KSK-Soldaten fand am 13. Mai im Kloster Hirsau statt. An der nicht-öffentlichen Trauerfeier nahmen neben den Angehörigen der Familie, Freunden und Kameraden auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Susanne Kastner, der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Volker Wieker, und der Bundesminister der Verteidigung, Thomas de Maizière, teil. Nach Angaben der Bundeswehr verneigte sich der Bundesminister „tief bewegt vor dem Gefallenen.“
Seit dem Jahr 2001 sind 53 deutsche Soldaten in Afghanistan getötet worden. Die deutsche Bundesregierung hat als eines der ersten Truppensteller-Länder konkrete Zahlen für eine Post-ISAF-Mission genannt. Zwischen 600 und 800 Bundeswehr-Soldaten könnten nach dem Abzug der Kampftruppen aus Afghanistan Ende 2014 in Kabul und Mazar-i-Sharif verbleiben, um die afghanischen Sicherheitskräfte zu beraten und zu unterstützen. Insbesondere die Spezialeinsatzkräfte der afghanischen Armee sollen dann die Hauptlast des Kampfes gegen regierungsfeindliche Kräfte tragen. Noch ist unklar, wie viele Truppen der Verbündeten in Afghanistan bleiben werden, da die Verhandlungen zwischen der afghanischen und amerikanischen Regierung – als größtem Truppensteller – noch nicht abgeschlossen sind. Zurzeit ist im Gespräch, dass die US-Streitkräfte neun größere Stützpunkte in Afghanistan nach 2014 nutzen möchten.
An dem Engagement in Afghanistan möchte die Bundesregierung festhalten. Über die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan sagte Bundeskanzlerin Merkel bei ihrem Besuch, dass man bei der Sicherheitslage noch „keine Entwarnung geben“ könne.
Mit weniger diplomatischen und deutlicheren Worten wurden in den letzten Jahren die Abgeordneten des Bundestages über die Lage in Afghanistan informiert. Die WAZ-Mediengruppe hat viele dieser „Afghanistan-Papiere“ im letzten Jahr für jeden einsehbar ins Netz gestellt (hier). Das Verteidigungsministerium ist juristisch gegen die als vertraulich eingestuften Papiere vorgegangen. Mit dem Hinweis auf das Urheberrecht, welches dem Urheber das Recht gibt, über eine Veröffentlichung zu entscheiden, versucht das Ministerium die Papiere aus dem Internet löschen zu lassen, was die WAZ-Mediengruppe stark kritisiert (mehr zum Rechtsstreit hier und hier) und bisher verweigert.
Bei den sogenannten „Afghanistan-Papieren“ handelt es sich um als geheim eingestufte „Unterrichtungen des Parlaments“ aus den Jahren 2005 bis 2012 in einem Umfang von rund 5000 gescannten Seiten (teilweise unleserlich), mit dem das Verteidigungsministerium die Abgeordneten des Verteidigungsausschusses des deutschen Bundestages über die Lage in Afghanistan informierte. Die Berichte sind mit der niedrigsten Stufe (VS – Nur für den Dienstgebrauch) von vier möglichen Geheimhaltungsstufen versehen.
Die Veröffentlichung der Papiere im letzten Jahr hat weder in den Medien noch in der Öffentlichkeit eine größere Resonanz nach sich gezogen. Die WAZ-Mediengruppe auf der einen Seite sprach davon, dass die Papiere die „Verharmlosung des Krieges“, die Ausweitung der Kämpfe und die Diskrepanz zwischen öffentlichen Äußerungen der Verantwortlichen in Deutschland und der wirklichen Lage vor Ort in Afghanistan (Beispiele hier) verdeutlichen. Auf der anderen Seite gab es verschiedene Stimmen, die den Papieren einen Neuigkeitswert absprachen.
Es fällt bei den Papieren auf, dass die allgemeine Sicherheits- und Bedrohungslage über die Jahre zwischen 2005 und 2012 hinweg relativ gleich eingestuft wird.
Die Einschätzung, dass die „Lage nicht ruhig und nicht stabil“ sei wird regelmäßig zwischen 2005 und 2007 getroffen, zum Beispiel im Oktober 2005 (41/2005 – fortlaufende Nummer/Jahr des Dokuments), im Dezember 2005 (52/2005), im Februar (6/2006) und im September 2006 (36/2006), im Januar (8/2007) und Mai 2007 (18/2007).
Die Formulierung „die Bedrohung in Afghanistan ist insgesamt erheblich“ wird ähnlich kontinuierlich verwendet zwischen 2008 bis 2012, zum Beispiel im Juli (30/2008) und Oktober 2008 (44/2008), im Januar (5/2009) und September 2009 (40/2009), im Februar (5/2010) und im Oktober 2010 (42/2010), im Januar (1/2011) und Oktober 2011 (42/2011) und noch im Juli 2012 (28/2012). Die Bundeswehr unterscheidet zwischen vier Einstufungen der Bedrohungslagen:
1. „niedrig“,
2. „mittel“ (allgemeine Anzeichen auf mögliche Angriffe),
3. „erheblich“ (ein Staat, eine Organisation oder Gruppen verfügen über Fähigkeiten, deutsche und verbündete Kräfte anzugreifen – mit Angriffen wird in naher Zukunft gerechnet) und
4. „hoch“ (Angriffe gegen konkrete Ziele in einem konkreten Zeitraum sind zu erwarten).
In der Öffentlichkeit ist die die politische Führung in den vergangenen Jahren dazu übergegangen, den bevorstehenden Abzug – trotz einer sich nicht wesentlich verbessernden Sicherheitslage – auch rhetorisch vorzubereiten, berichtete die Wochenzeitung „Die Zeit“.
Die Kosten für den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan sind im Jahr 2012 gestiegen. Wie der gut informierte Blog „Augen geradeaus“ berichtete, gab der Bund 2012 fast 120 Millionen Euro mehr für die ISAF-Mission aus als ursprünglich geplant (mehr dazu hier).
Weiterführende Informationen:
– Offizielle Bilderstrecke der Bundesregierung vom Besuch der Kanzlerin in Afghanistan
– Offizieller Videobericht der Bundeswehr über den Besuch der Kanzlerin
– Interaktive Grafik der Bundesregierung zum Engagement in Afghanistan
– Zeitungsbericht mit Hintergründen zum Besuch und zu den Verlusten der ISAF
– Bericht des ZDF „heute journals“ über die Lage in Afghanistan vom 5. Mai