Deutschland liefert ab heute Nacht militärische Ausrüstung in das Konfliktgebiet im Norden des Irak. Die nicht-staatlichen Kämpfer der kurdischen Peschmergas erhalten in den kommenden Tagen und Wochen neben militärischen Ausrüstungsgegenständen für den persönlichen Gebrauch auch Waffen, nicht gepanzerte sowie gepanzerte Fahrzeuge.
Nach Angaben der Bundeswehr wird heute um 24 Uhr eine Transportmaschine von Halle/Leipzig aus in den Irak fliegen. Die erste Lieferung umfasst knapp 9.500 Einzelteile, darunter je 4.000 Gefechtshelme und Schutzwesten sowie 700 Funkgeräte. Die Bundesregierung unterstützt damit die die kurdische Regionalregierung und ihre Peschmergas im Kampf gegen die radikalislamische Terrormiliz „Islamischerer Staat (IS)“.
„Die dem Tod ins Auge sehen“ haben eine beeindruckende Waffen-Wunschliste
Bei den Peschmergas handelt es sich um die bewaffneten Kräfte der teilautonomen Kurdengebiete im Norden des Irak. Da der Westen die Autonomiebestrebungen in den letzten Jahren unter Rücksicht auf die Zentralregierung in Bagdad und den NATO-Partner Türkei durch Waffenlieferungen nicht stärken wollte, lieferte man bisher keinerlei Waffen an die Kämpfer. Schätzungsweise 100.000 Peschmerga-Kämpfer gibt es, weitere 30.000 bilden Polizeikräfte. Der Begriff „Peschmerga“ bedeutet so viel wie „die, die dem Tod ins Auge sehen“.
Die militärische Ausrüstung und Bewaffnung der Kurden ist veraltet und der Ausrüstung der IS, die teilweise syrische und irakische Waffendepots erobert haben, unterlegen.
Aus diesem Grund haben die Kurden dem US-Verteidigungsministerium eine Wunschliste vorgelegt. Einem Medienbericht zufolge wünschen sie sich
– Panzerabwehrsysteme des Typs „Javelin“,
– Luftverteidigungssysteme,
– gepanzerte Gefechtsfahrzeuge,
– Überwachungsdrohnen und
– moderne Nachtsichtausrüstungen.
Aus Beständen der Bundeswehr werden folgende Ausrüstungsgegenstände und Waffen an die kurdischen Kämpfer geliefert:
Waffen und Munition:
– 8.000 Sturmgewehre G3 mit 2 Millionen Schuss Munition
– 40 Maschinengewehre MG3 mit 1 Million Schuss Munition
– 8.000 Sturmgewehre G36 mit 4. Mio. Schuss Munition
– 10.000 Handgranaten
– 8.000 Pistolen P1 mit 1 Mio. Schuss Munition
– 30 Panzerabwehrwaffen MILAN mit 500 Lenkflugkörpern
– 200 Panzerfäuste 3 mit 2.500 Patronen
– 40 schwere Panzerfäuste mit 1.000 Patronen
– 100 Signalpistolen mit 4.000 Patronen
Ungepanzerte und gepanzerte Fahrzeuge:
– 5 gepanzerte Transportfahrzeuge des Typs “Dingo”
– 40 Lastkraftwagen “Wolf”, ungeschützt
– 20 Lastkraftwagen “Wolf”, teilgeschützt
– 40 LKW 2 UNIMOG
– 1 Tanklastwagen.
Weitere, querschnittliche Ausrüstung:
– 700 Funkgeräte
– 4.000 Gefechtshelme
– 20 Metallsuchgeräte zur Minensuche
– 30 Minensonden
– 40 Werkzeugsätze zur Munitionsbeseitigung
– 680 Nachtsichtgeräte, Infrarot
– 4.000 Schutzwesten
– 25 Feldküchen
– 125 Zelte
– 1.5000 Doppelfernrohre
– 4.000 ballistische Schutzbrillen
– 270 persönliche Sanitätsausstattungen
Seit dem 27. August befindet sich nach offiziellen Angaben der Bundeswehr ein aus sechs Soldaten bestehendes militärisches Verbindungselement in der nordirakischen Stadt Erbil. Die Soldaten unterstehen dem Auswärtigen Amt und unterstützen bzw. beraten das deutsche Generalkonsulat. Ihr Auftrag ist es, die Hilfe aus Deutschland vorzubereiten, zu koordinieren und die militärischen Ausrüstungsgegenstände mit einer Einweisung zu übergeben.
Wie genau der Transport in den Irak und die Übergabe an die Peschmerga-Kämpfer abläuft, erläutert ein Angehöriger des Verbindungselementes im Interview hier. Ein Angehöriger des Verbindungselements wird nach Angaben der Bundeswehr mit den Worten zitiert: „Die Peschmerga-Soldaten machen einen sehr disziplinierten Eindruck und sind sehr zuvorkommend“.
Zu den Hilfsleistungen gehört auch humanitäre Hilfe wie Nahrungsmittel. Die Bundeswehr hat in den letzten Tagen mit Transportflugzeugen Hilfsgüter in die Region geflogen.
Dschihadisten und deutsche Panzerabwehrwaffen
Die Dschihadisten der IS haben im Gegensatz zu den Kurden bereits bei ihren militärischen Erfolgen in Syrien und im Irak allem Anschein nach auch ältere Panzerabwehrwaffen des Typs „Hot“ aus deutsch-französischer Produktion erbeutet. Diese wurden vermutlich zu Beginn der 1980er Jahre an die syrischen Streitkräfte geliefert. In einem Propagandavideo zeigen sie Teile des Waffensystems. Ob diese älteren Panzerabwehrsysteme noch einsatzfähig sind, ist allerdings unklar.
Der Vorteil von Waffenlieferungen an die kurdischen Kämpfer besteht darin, dass westliche Streitkräfte nur indirekt – mit Beratern oder durch Waffenlieferungen – an den Kämpfen der Kurden gegen die marodierenden Dschihadisten beteiligt sind. Das Risiko eines direkten Eingreifens mit Landstreitkräften und Bodenoperationen wird somit umgangen. Die Ausrüstungs- und Waffenhilfe für die Kurden hat einen Gesamtwert von rund 70 Mio. Euro. Eine Rückgabe des Materials ist nicht vorgesehen.
Im Hinblick auf die spätere Unkontrollierbarkeit der gelieferten Waffen und die damit einhergehende Unwägbarkeit, in wessen Hände die Waffensysteme einmal fallen könnten bzw. gegen wen sie gerichtet werden könnten, sagte Bundeskanzlerin Merkel in der Regierungserklärung angesichts der akuten Bedrohungslage gestern: „Das, was ist, wiegt in diesem Fall schwerer als das, was sein könnte.“
Gerade in dem instabilen und konfliktreichen Krisenbogen zwischen Marrakesch und Mumbai, also von Nordafrika über den Nahen und Mittleren Osten bis nach Afghanistan, gab in der Vergangenheit immer wieder Belege dafür, dass Waffenlieferungen an die Partner von heute die Feinde von morgen stärken können. Einige Beispiele belegen dies:
– Bei ihrem Vormarsch erbeuteten die IS-Kämpfer US-Kriegsgerät, mit dem die US-Regierung die irakische Zentralregierung nach dem Abzug der US-Truppen ausstattete;
– im Golfkrieg von 1990/91 trafen US-Streitkräfte auf Waffen der irakischen Streitkräfte, die in den 1980er Jahren an den Irak im Kampf gegen den Iran geliefert wurden;
– die USA befürchteten bereits 1989, dass die in den 1980er Jahren an die afghanischen Widerstandskämpfer gelieferten US-Flugabwehrraketen des Typs „Stinger“ trotz eines Rückkaufangebotes in die falschen – terroristischen Hände – geraten könnten;
– im britisch-argentinischen Falkland-Krieg von 1982 zerstörten argentinische „Exocet“-Antischiffs-Lenkwaffen aus französischer Produktion Überwassereinheiten des europäischen Verbündeten Großbritanniens.
Ähnlich wie die russische AK-47 ist auch das deutsche Gewehr G 3 weltweit verbreitet. Angesichts der vielen Toten durch Kleinwaffen in bewaffneten Konflikten bezeichnet man die leicht zu bedienenden und von Konflikt zu Konflikt „reisenden“ Gewehre auch als die eigentlichen „Massenvernichtungswaffen“ des 21. Jahrhunderts. [ej]