Die Vorbereitungen der französischen Sicherheitsbehörden auf die Fußball-EM gehen in die heiße Phase. Polizeiliche, militärische und zivile Behörden und Einheiten haben in den vergangenen Wochen unterschiedliche Einsatzszenarien simuliert, mit denen mittlerweile bei jedem Sport-Großereignis zu rechnen ist.
Der „Mann mit Hut“ und der État d’urgence bis Juli
In Frankreich ist die Gefährdungslage allerdings akuter als in der Vergangenheit bei den Olympischen Spielen in London oder in Sotchi, über die K-ISOM hier berichtete. Zum einen gab es bereits einen Anschlag auf das Veranstaltungsgelände des Fußballspiels Frankreich-Deutschland im November 2016 in Paris.
Zum anderen soll der in Belgien festgenommene Terrorist, Mohamed Abrini, den Ermittlern gesagt haben, dass das eigentliche Ziel der Attentäter von Brüssel im März die Fußball-EM im Sommer gewesen sei. Dieser als „Mann mit Hut“ bei den Brüsseler Anschlägen identifizierte Abrini war ebenfalls an den Vorbereitungen an den Pariser Attentaten im November beteiligt. Die genauen Anschlagsziele sollen den Ermittlungen zufolge direkt vom Islamischen Staat aus Syrien gekommen sein.
Um das zwischen dem 10. Juni und dem 10. Juli Großereignis besser schützen zu können, möchte die Regierung Frankreichs die Notstandsgesetze (État d’urgence) bis Ende Juli in Kraft lassen. Sie gelten seit den Terroranschlägen vom 13. November. Dieser Ausnahmezustand erlaubt den Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden u.a. Versammlungsverbote, Ausgangssperren und nächtliche Hausdurchsuchungen, auch ohne die Zustimmung eines Richters.
Als mögliche Anschlagsziele für planmäßig agierende Terroristengruppen sowie spontane Einzeltäter gelten nicht nur die Fußball-Stadien, sondern auch die nur schwer zu schützenden Public-Viewing-Veranstaltungen im ganzen Land.
GIGN, RAID, BRI-BAC – schnell am Ort eines Anschlages
Am 19. April hat Innenminister Bernard Cazeneuve in einer Rede vor Angehörigen verschiedener Spezialeinsatzkräfte den Nationalen Interventionsplan vorgestellt, darunter auch die Kommandanten der Einheiten GIGN, BRI und RAID (einige Hintergründe zu den Einheiten hier). Wichtigster Punkt der Rede war die bessere Zusammenarbeit bei einem oder mehreren Terrorangriffen, um nach der Alarmierung keine Zeit zu verlieren. Cazeneuve betonte, der Faktor Zeit wichtig sei: bei dem Angriff auf die Konzerthalle Bataclan habe man erfahren, dass die Terroristen gerade in den ersten Minuten die höchsten Opferzahlen verursacht haben (s. dazu den nachfolgenden Bericht von TV 1 aus Frankreich).
Der Interventionsplan sieht vor, dass es in Frankreich und seinen Überseegebieten insgesamt 22 Interventionseinheiten geben wird. 12 davon stellt die Nationalpolizei, 10 die Gendarmerie. Den Schwerpunkt bilden RAID, BRI-BAC und die GIGN. RAID und GIGN werden zudem Zweigstellen einrichten, um in der Fläche präsent zu sein.
Nachts im Bahnhof Montparnasse
Vor allem die Spezialeinheiten von Polizei und Gendarmerie – RAID, GIGN BRI– bereiten sich intensiv auf alle Eventualitäten vor. Bei einer nächtlichen Übung im Pariser Bahnhof Montparnasse simulierten sie eine Massengeiselnahme. Die vier folgenden Videos von der Anti-Terror-Übung greifen im Wesentlichen auf dasselbe, offizielle Rohmaterial zurück, sie zeigen aber nur bestimmte Schwerpunkte und die Schnittfolge ist anders. Es empfiehlt sich, alle vier Videos anzuschauen.
Video 1 mit der Ankunft der „Terroristen“:
Video 2 mit Zugriff auf Geiselnehmer im Zug und in einem Bahnhofsraum:
Paris: simulation d’attaque terroriste à la… von ITELE
Video 3 mit ausführlichen Bildern und den gut hörbaren Kommandos des taktischen Vorgehens:
Gut erkennbar ist das taktische Vorgehen der Polizisten in dem Bahnhof auf der Suche nach Attentätern. Beim Durchsuchen und Sichern eines Gebäudes dieser Größe fehlt allerdings ein gewichtiger Übungsfaktor: die unzähligen, lauten, verängstigen, hektischen, teilweise konfusen und schockierten, verletzten oder gar massenhaft getöteten Zivilisten.
Bei dem folgenden Zugriff im Zug dürften der Lärmpegel und die Anwesenheit der Geiseln realistischer sein, wie dieses 4. Video zeigt.
Eine weitere Übung fand in Bordeaux statt. Dort simulierte man einen Angriff auf eine Fan-Zone mit einem Selbstmordattentäter und einer Geiselnahme, wie das folgende Video zeigt.
Schmutzige Bomben und Spezialkräfte
Polizisten, Gendarmen, Soldaten und zivile Rettungskräfte simulierten vor wenigen Wochen einen islamistischen Anschlag mit atomaren bzw. chemischen Substanzen auf die Fußball-Fans.
Simulierter Chemieangriff auf Stadion in Saint-Etienne:
Simulierter Angriff mit chemiewaffenähnlichen Substanzen auf eine Fan-Zone in Nîmes:
Die Bedrohungslage durch atomare, biologische oder chemische Substanzen im Rahmen eines Terrorangriffes hat in den letzten Jahren zugenommen. Einerseits gehen die westlichen Regierungen davon aus, dass im Syrien-Konflikt sowohl die Assad-Truppen als auch die Milizen des IS Chemiewaffen eingesetzt haben. Im Februar gelang es US-Spezialkräften, einen hochrangigen IS-Verantwortlichen zu ergreifen, der vermutlich an Chemiewaffen gearbeitet haben soll. Andererseits rechnet die französische Regierung mit C-Waffen-Angriffen und gab den Streitkräften die Anweisung, Atropin zu bevorraten.
Weiterhin besteht die Gefahr von Angriffen auf die „kritische Infrastruktur“, also Kraftwerke, Produktionsstätten chemischer Produkte etc. Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit scheinen diese Bedrohungslage zu erhärten. 2013 griffen Dschihadisten in Algerien eine Gas-Förderanlage an und nahmen Geiseln. In Nigeria griffen später Islamisten ein Uranbergwerk eines französischen Konzerns an, wie K-ISOM damals an dieser Stelle berichtete. Die Attentäter von Paris und Brüssel observierten leitende Angestellte von Atomkraftwerken in Belgien.
Die Anti-Terror-Einheiten in Europa bereiten sich seit Jahren auf diese Szenarien vor. Bereits im Jahre 2003 trainierte die GSG 9 zusammen mit der slowakischen UOU die Gegenmaßnahmen im Falle eines Terrorangriffes auf ein Kernkraftwerk.
[ej]