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Transnationales Terrorkalifat und nationale Truppenbewegungen im Mittleren Osten

Im Krisenbogen zwischen dem östlichen Mittelmeer bis hin zum Persischen Golf kam es in den vergangenen Wochen zu verschiedenen militärischen Lageentwicklungen unterschiedlichster Intensität.
Kennzeichnend für die Großlage in dieser Region ist das Zusammentreffen von starken, nicht-staatlichen radikalislamischen Gruppierungen mit grenzüberschreitender Gewalt, gegen die die teilweise schwachen Staatsgewalten und ihre Sicherheitskräfte nur mit schweren Verlusten vorgehen können. Die wechselnden Allianzen in Kombination mit Phasen relativer Ruhe und dann folgenden eruptionsartigen Ausbrüchen von Gewalt und kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen diversen Gruppierungen, Aufständischen, privaten und halb-staatlichen Milizen und regulären Streitkräften lassen sich mit dem 30-jährigen Krieg in Europa vergleichen.
Die verschiedenen Truppenbewegungen, das Großmanöver „Eager Lion 2014“ und der Einsatz von Spezialeinheiten unterstreicht die strategische Bedeutung der Region. An folgenden Brennpunkten in der Region treffen diverse innenpolitische Gewaltwellen und bewaffnete Konflikte mit einem zunehmenden, grenzüberschreitenden Eskalationspotenzial aufeinander:

Irak: Die radikalislamische Terrorgruppierung ISIS (Islamischer Staat im Irak und in Syrien) hat in dem von ihr eroberten Gebieten Syriens und des Iraks ein Kalifat ausgerufen. Als „Kalif“ bezeichnet man den Nachfolger des Islam-Gründers Mohammed. Die aus dem Bürgerkrieg in Syrien kommenden Kämpfer der ISIS waren in den vergangenen Wochen nahezu ohne Widerstand Richtung Bagdad vorgerückt.
Nach Informationen der „New York Times“, die eine ungenannte Quelle zitierte, brach der Widerstand der irakischen Streitkräfte trotz numerischer Überlegenheit zusammen. Die schätzungsweise rund 5.000 ISIS-Kämpfer waren nach nachrichtendienstlichen Erkenntnissen wohl in der Lage, moderne Flugabwehr- und panzerbrechende Raketen aus Syrien anzuwenden. Zwischen Januar und Mai 2014 wurden nach Angaben der „New York Times“ sechs irakische Hubschrauber abgeschossen, 60 weitere sollen beschädigt worden sein. Zudem wurden 28 M-1-Panzer der irakischen Streitkräfte beschädigt. Bei fünf M-1-Panzern sollen die panzerbrechenden Waffen der ISIS-Kämpfer die Panzerung sogar vollständig durchschlagen haben.
Um den Vormarsch, weitere Eroberungen und ein Erstarken der ISIS-Kämpfer zu verhindern, bombardierte in der vergangenen Woche die syrische Luftwaffe Kämpfer der ISIS im syrisch-irakischen Grenzgebiet und im Nachbarland Irak.
Nördlich von Bagdad haben die ISIS-Kämpfer eine ehemalige Produktionstätte für chemische Kampfstoffe übernommen, in der allerdings noch Kampfstoffereste des Nervengases Sarin in schätzungsweise 2.500 Raketen lagern.
Die USA entsandten in den letzten Wochen insgesamt 800 Soldatinnen und Soldaten zur Verstärkung des Schutzes der US-Bürger und Einrichtungen in den Irak. Darunter befinden sich ebenfalls 200 US-Militärberater, die die Schwäche der irakischen Streitkräfte und die Stärke der ISIS bewerten sollen (in dem Bericht von „Spiegel Online“ findet sich auch eine Karte). Auch Australien hat den militärischen Schutz seiner Botschaft in Bagdad verstärkt. (siehe diesen Bericht hier). Nach offiziellen Angaben haben die US-Berater in Bagdad und in Erbil eine gemeinsame Operationszentrale eingerichtet. Es ist davon auszugehen, dass US-Spezialeinsatzkräfte der US Special Forces zwecks Beratung der irakischen Kräfte im Land operieren. Der Einsatz weiterer Kräfte ist angesichts der Unübersichtlichkeit der Lage wahrscheinlich. Nach Medienberichten sollen Spezialkräfte der USA und des britischen SAS Angriffsziele für Luftangriffe markieren. Aufklärungsdrohnen befinden sich bereits im Einsatz.

Jordanische Spezialkräfte nach dem Anlanden am Ufer und vor dem Angriff auf ein Gebäude auf dem Gelände der jordanischen Marine im Rahmen der Übung „Eager Lion 14“ am 5. Juni. Bild: SGT Melissa Parrish/DVIDS

Jordanische Spezialkräfte nach dem Anlanden am Ufer und vor dem Angriff auf ein Gebäude auf dem Gelände der jordanischen Marine im Rahmen der Übung „Eager Lion 14“ am 5. Juni. Bild: SGT Melissa Parrish/DVIDS

Syrien: Nachdem eine Intervention des Westens im vergangenen Jahr durch die Übereinkunft über die Vernichtung der syrischen Chemie-Kampfstoffe verhindert worden war, hat sich das Regime mit militärischer Unterstützung der libanesischen Hisbollah und des Iran wieder stabilisieren können. Teile des Staatsgebietes mit zentralen Städten konnten zurückerobert werden.
Die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen auf hoher See wird auch von der Fregatte „Augsburg“ der Bundesmarine gesichert. Zuvor bewachten norwegische Spezialkräfte den Transport, wie K-ISOM im letzten Jahr berichtete.
K-ISOM berichtete zudem mehrfach über die militärische Lage, den Einsatz von Spezialeinsatzkräften und diverse Einsatzoptionen in Syrien (hier, hier, hier und hier).

Spezialeinsatzkräfte verschiedener Nationen auf einem Festrumpfschlauchboot der US-Marine während einer Übung am 5. Juni vor dem jordanischen Hafen Akaba als Teil der Übung „Eager Lion 14“. Bild: DoD photo by Sgt. Melissa Parrish, U.S. Army/Released Bildlizenz.

Spezialeinsatzkräfte verschiedener Nationen auf einem Festrumpfschlauchboot der US-Marine während einer Übung am 5. Juni vor dem jordanischen Hafen Akaba als Teil der Übung „Eager Lion 14“. Bild: DoD photo by Sgt. Melissa Parrish, U.S. Army/Released Bildlizenz.

Israel: Als Reaktion auf Beschuss aus Syrien, bei dem Ende Juni ein 14-Jähriger Israeli starb, griff die israelische Luftwaffe als Vergeltung danach sofort syrische Stellungen an. Dabei seien Panzer- und Artilleriegeschütze zerstört und 10 Soldaten der syrischen Streitkräfte getötet worden. Die israelischen Streitkräfte greifen auch dann syrische Truppen an, wenn sie wie in diesem Fall davon ausgehen müssen, dass Kräfte der schiitischen, radikalislamischen Hisbollah aus dem Libanon, die im syrischen Bürgerkrieg zusammen mit Präsident Assad kämpfen, hinter dem Beschuss israelischen Territoriums stehen.
Als Reaktion auf den Beschuss mit Raketen aus dem von der radikalislamischen Hamas kontrollierten Gaza-Streifen, hat die israelische Luftwaffe in der vergangenen Nacht und am gestrigen Dienstag Ziele in und um Gaza-Stadt angegriffen (Video hier).
Beim Abschuss von anfliegenden Raketen wurde auch ein deutsches Kreuzfahrschiff von kleineren Raketenteilen getroffen (Video des Abschusses hier bzw. der Funktionsweise des israelischen Iron Dome-Systems im Video). Bei einem Luftangriff auf ein Fahrzeug soll auch der Kommandeur einer maritimen Einheit der Hamas, Mohammed Saaban, getötet worden sein. Gestern verhinderten IDF-Kräfte eine Infiltration von Hamas-Kämpfern von See aus. Noch in Strandnähe wurden die Kämpfer unter Feuer genommen und getötet, wie man auf diesem Video sehen kann.
Im Grenzgebiet zu Gaza haben die israelischen Streitkräfte (IDF, Israel Defence Force) Bodentruppen zusammengezogen, darunter die „Givati“-Brigade und Einheiten der Fallschirmjäger. Insbesondere die Infanteristen der „Givati“-Brigade verfügen über große Erfahrungen bei umfangreichen Antiterror- und Häuserkampf-Einsätzen im Gaza-Streifen. Der israelische Premierminister Netanjahu sagte gestern, dass die Zeit gekommen sei „die Samthandschuhe auszuziehen“.
Die aktuellen Kampfhandlungen wurden durch die Entführung und Ermordung von drei israelischen Jugendlichen und dem Rachemord an einem palästinensischen Jugendlichen ausgelöst. Für den Tod der israelischen Jugendlichen macht Israels Regierung die Hamas verantwortlich, die seit Tagen israelische Ortschaften mit Raketen beschießt.
Generalstabschef Gantz hat um die Genehmigung gebeten, 40.000 Reservisten einzuziehen. Der Umfang der Pläne und die ebenfalls bereitstehende Panzer-Truppe deutet auf eine größere Bodenoperation im Gaza-Streifen hin. Da es bei Bodenkämpfen im Gaza-Streifen, der teilweise untertunnelt ist, Spezialisten für den Kampf unter der Erde benötigt, ist davon auszugehen, dass die IDF auch die Spezialeinheit „Yahalom“ einsetzen wird.

Saudi-Arabien: Rund 30.000 Soldaten seiner Streitkräfte hat das Land an der langen Grenze zum Irak zusammengezogen, um ein Einsickern von Kämpfern der ISIS zu unterbinden.

Jordanien: Jordanien hat seine Truppen an der Grenze zum Irak ebenfalls verstärkt. Es fürchtet angesichts seiner innenpolitischen Widerstände aus dem islamistischen Lager ein Übergreifen der Unruhen.
Das jährlich stattfindende Großmanöver „Eager Lion“ in Jordanien hat wie im letzten Jahr die ständige Einsatzbereitschaft und mögliche Zusammenarbeit unterschiedlichster Streitkräfte gegen eine Vielzahl an Bedrohungen konventioneller und unkonventioneller Art unterstrichen. An der diesjährigen Übung im Mai und Juni nahmen rund 13.000 Soldaten der Land-, Luft-, See- und Spezialkräfte aus 22 Staaten teil.

Insbesondere Spezialeinsatzkräfte trainierten verschiedenen Einsatzszenarien. Die Manöverinhalte reichten von Schiffskontrollen bis hin zur Bedrohung durch atomare, biologische, chemische und radiologische Kampfstoffe und Materialien. Letzteres trainierten gemeinsam kanadische und jordanische Spezialkräfte (Bericht hier).

US-Marines der 26th Marine Expeditionary Unit bei einer Schießübung im Rahmen der Übung “Eager Lion 13” im letzten Jahr. Bild: DoD photo by Sgt. Christopher Q. Stone, U.S. Marine Corps/Released. Bildlizenz

US-Marines der 26th Marine Expeditionary Unit bei einer Schießübung im Rahmen der Übung “Eager Lion 13” im letzten Jahr. Bild: DoD photo by Sgt. Christopher Q. Stone, U.S. Marine Corps/Released. Bildlizenz

Der jordanisch König Abdullah II. nahm an einer Luftlandeübung der Spezialkräfte als „Jump Master“ teil (s. Bilder hier). In den 1990er Jahre kommandierte er die jordanischen Spezialeinsatzkräfte. Das Trainingszentrum für Spezialeinsatzkräfte bei Amman trägt seinen Namen (Video über KASOTC hier).
In seiner aktuellen Ausgabe Nr. 4/2014 berichtet K-ISOM ausführlich über das KASOTC, den Wettbewerb der Anti-Terror- und Spezialeinheiten sowie die begleitenden Veranstaltungen.

Bei der Übung „Eager Lion“ im vergangenen Jahr hätte die teilnehmende Einheit des US-Marinekorps im Falle eines bewaffneten Eingreifens in Syrien als Teil der Bodentruppen, in erster Linie für Combat-Search-and-Rescue-Missionen im Rahmen von Luftoperationen, bereitgestanden. K-ISOM berichtete damals hier.

Ergänzende Links:

  • Die hypothetische Übertragung der syrischen Kriegsopfer auf Deutschland findet sich hier und hier