Der von den Taliban freigelassene US-Soldat Bowe Bergdahl befindet sich zurzeit in einem US-Militärkrankenhaus in Landstuhl, Rheinland-Pfalz. Dort wird er wieder auf ein Leben in Freiheit vorbereitet.
Der 28-Jährige befand sich knapp fünf Jahre in der Gefangenschaft der afghanischen bzw. pakistanischen Taliban. Mehrere Dutzend Spezialeinsatzkräfte der USA haben Bergdahl am vergangenen Samstag an einem vorher festlegten Aufnahmeort im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet nach Absprache mit den Taliban mit Hubschraubern abgeholt. Welche Einheit genau ihn in Obhut nahm, wurde nicht mitgeteilt. Unbestätigten Gerüchten nach handelte es sich um Spezialkräfte des US-Heeres, „Delta“-Force, unter dem Kommando von JSOC. Dem Joint Special Operations Command unterstehen die sogenannten „Tier 1“-Einheiten der US-Spezialkräfte (mehr dazu in dieser K-ISOM-Meldung).
Das gestern veröffentlichte Video der Taliban zeigt die Übergabe von Bergdahl (ab Minute 4:00). Mehr dazu in diesem Bericht.
Bergdahl war der einzige US-Soldat, der sich noch in Gefangenschaft befand. K-ISOM berichtet in der Ausgabe Nr. 2/2014 ausführlich über Bowe Bergdahl und die fragwürdigen Hintergründe seines Verschwindens 2009 in Afghanistan. Die in dem Beitrag geäußerten zweifelhaften Umstände seines Verschwindens scheinen sich nun zu bestätigen. Kameraden von damals erheben schwere Vorwürfe gegen Bergdahl: vermutlich sei er desertiert, und auf der Suche nach ihm seien Kameraden getötet worden, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“.
Die Freilassung des US-Soldaten geschah mit Hilfe des Emirats Katar. Als Gegenleistung entließ die US-Regierung fünf hochrangige, ehemalige Taliban aus ihrem Lager Guantanamo auf Kuba. Nach Informationen von „CNN“ soll sich Katar verpflichtet haben, die Freigelassenen angemessen zu bewachen. Ihnen soll ein einjähriges Reiseverbot auferlegt worden sein. Bei ihnen handelt es sich nach einem TV-Bericht um
- Mohammad Fazl, Verteidigungsminister der Taliban zurzeit der US-Invasion Afghanistans 2001,
- Mullah Norullah Noori, ehemaliger Militärkommandeur der Taliban und Gouverneur von zwei afghanischen Provinzen,
- Mohammed Nabi,
- Chairullah Chairchwa, vermutlich ein enger Weggefährte von Usama Bin Laden,
- Abdul Haq Wasiq, ehemaliger stellvertretender Minister für Nachrichtenwesen/Aufklärung.
Der seit 2001 untergetauchte Anführer der Taliban, Mullah Omar, feierte den Gefangenenaustausch als großen Sieg, berichtet „Spiegel Online“. Ob dieser Gefangenenaustausch auch als eine vertrauensbildende Maßnahme hin auf mögliche Friedensverhandlungen zwischen der Regierung Afghanistans und den regierungsfeindlichen Taliban dienen kann, ist zurzeit fraglich. Jede der Konfliktparteien interpretiert den Austausch vorsichtig und zurückhaltend (mehr dazu hier, hier und in dieser K-ISOM-Meldung aus dem vergangenen Jahr).
Ob die afghanischen Taliban überhaupt ein Interesse an Friedensverhandlungen mit der afghanischen Regierung bzw. den USA haben, ist anzuzweifeln. Auf der einen Seite verfügen die Taliban über ausreichend Kämpfer und eine Organisation, die sie jedes Jahr zu einer breit angelegten Frühjahrsoffensive befähigt. Auf der anderen Seite hat US-Präsident Obama in der vergangenen Woche angekündigt, ab Dezember 2014 noch 9.800 US-Soldaten in Afghanistan zu belassen. Mit dieser Höhe des Truppenumfangs hat man in den letzten Monaten gerechnet (K-ISOM berichtet hier und hier) Allerdings kündigte Obama ebenfalls an, bis Anfang 2017 alle Truppen aus Afghanistan abziehen zu wollen. Bis dahin sollen die US-Truppen afghanische Sicherheitskräfte ausbilden und bei Operationen gegen verbliebene Al Qaida-Elemente unterstützen.
Die deutsche Bundesregierung wird an der der ISAF-Folgemission mit bis zu 800 Soldaten teilnehmen, unter der Voraussetzung, dass es zu einem Stationierungsabkommen mit der afghanischen Regierung kommt.
In der Zukunft wird die US-Regierung ihr Militär nur noch bei der Verteidigung von „Kerninteressen“ einsetzen, so Obama in einer Rede in West Point in der vergangenen Woche. Der Hauptgegner sei nach wie der internationale Terrorismus, allerdings sei es „naiv“ und „untragbar“ anzunehmen, dass man in jedes Land, dass Terroristen beherberge, auch einmarschieren könne, so Obama weiter. Vielmehr komme die Bedrohung nicht von einer zentralisierten Terrorgruppe, sondern sie gehe von einer „diffusen Bedrohung“ durch eine Vielzahl unabhängig voneinander operierender Einzeltäter oder lokalen Gruppierungen aus. Obama betonte, dass man Truppen nicht mehr „ausgedehnt“- also in einem großen Umfang und in einem großen Gebiet – einsetzen könne bzw. nicht mehr, wenn diese „Feindseligkeiten vor Ort“ ausgesetzt seien. Die USA bräuchten in diesem Kampf Partner vor Ort (die ganze Rede findet sich hier).
Ohne es explizit in seiner Rede auszusprechen, hat Obama damit angedeutet, dass die US-Spezialeinsatzkräfte weltweit – insbesondere im Verbund mit Partnern vor Ort – zukünftig die Hauptlast im direkten Kampf gegen terroristische Gruppierungen und indirekt, also im Rahmen von Ausbildungsmissionen, tragen werden. K-ISOM berichtete über diesen Ansatz der US-Regierung unter Obama bereits im letzten Jahr hier.