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G36 im Dauerfeuer der Kritiker: Mediale Skandalisierung, Oppositionskritik und erstes Gefecht einer Übernahmeschlacht

In der Angelegenheit der Treffsicherheit des Standardgewehres G36 der Bundeswehr haben am Mittwoch im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages die Bundesministerin der Verteidigung, Ursula von der Leyen, und ihr Vorgänger, Thomas de Maiziére, Rede und Antwort gestanden (s. nachfolgendes Video des Nachrichtensenders Phönix mit den Stellungnahmen der beiden Minister).
Seit Monaten werden Zweifel an der Einsatztauglichkeit des G36 laut. Im Kern geht es um eine massive Streukreisvergrößerung beim Schießen, insbesondere im heißgeschossenen Zustand aufgrund hoher Schussfrequenz oder hoher Außentemperaturen.

Neues Sturmgewehr oder Kampfwertsteigerung?
Wie dieses schlechte Trefferbild zustandekommt ist noch nicht abschließend geklärt und Teil der Auseinandersetzung zwischen Ministerium, seiner Wehrtechnischen Erprobungsstelle, dem Bundesrechnungshof, dem Wehrbeauftragten, den Fraktionen des deutschen Bundestages und dem Hersteller Heckler & Koch.
– Einem Bericht der Wehrtechnischen Diensstelle 91 und des Wehrwissenschaftlichen Instituts für Werk- und Betriebstoffe zufolge zeigten sich erhebliche Treffermängel im heißgeschossenen Zustand des Laufes.
– Auf fehlerhafte Munition eines Herstelles als Ursache verweist ein Gutachten der Fraunhofer-Gesellschaft. Die Munition für das G36 beschafft die Bundeswehr von verschiedenen Herstellern.
– Eine einsatzbedingte Fehlbedienung des G36 ist eine weitere Möglichkeit. Demnach kommt es zu Ungenauigkeiten im scharfen Schuss, wenn die Soldaten im Feuerkampf das Sturmgewehr als Maschinengewehr nutzten.
– Ein weiterer Grund besteht auch in den klimatischen Bedingungen in den heißen Einsatzzonen.
– Der ehemalige Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmut Königshaus, meinte, dass durch das G36 kein deutscher Soldat in Gefahr geraten sei; zudem sei die damalige Entwicklung des Sturmgewehrs ein Kompromiss gewesen sei (mehr dazu hier).

 

Soldaten der 173. Luftlande-Brigade der US-Streitkräfte in Europa treffen lettische Soldaten bei der Eröffnungszeremonie einer Übung am 24. April 2015 in Lettland. Die Fallschirmjäger sind Teil eines Kontingents in Kompanie-Größe, die in den nächsten Wochen an Übungen in den baltischen Staaten und in Polen teilnehmen. Bild: U.S. Army/Sgt. Daniel Cole Bildlizenz

Soldaten der 173. Luftlande-Brigade der US-Streitkräfte in Europa treffen lettische Soldaten bei der Eröffnungszeremonie einer Übung am 24. April 2014 in Lettland. Die Fallschirmjäger sind Teil eines Kontingents in Kompanie-Größe, die in den nächsten Wochen an Übungen in den baltischen Staaten und in Polen teilnehmen. Bild: U.S. Army/Sgt. Daniel Cole Bildlizenz

Das G36 wurde Anfang der 1990er Jahre konzipiert. Militärpolitisch dachte damals niemand an die Auslandseinsätze der Bundeswehr und die gestiegenen Anforderungen an eine Einsatzarmee. So wird vielfach betont, dass das Sturmgewehr die an es gestellten – damaligen – Anforderungen auch heute noch erfülle.
Unklar ist, ob das G36 weiterentwickelt werden kann oder mittelfristig durch eine neue Standardwaffe ersetzt werden muss, die den Einsatzanforderungen der Streitkräfte besser gerecht wird. Im April sagte von der Leyen, dass das G36 wegen der Mängel ausgemustert werden müsse.

Skandalisierung und Übernahmeschlacht
Aus dieser Angelegenheit wurde eine Affäre, als in den vergangenen Monaten einerseits bekannt wurde, dass der damalige Verteidigungsminister de Maiziére bereits vor Jahren Hinweise auf etwaige Mängel erhielt, aber nichts oder zu wenig unternahm. Andererseits gibt es glaubwürdige Hinweise, dass der Militärische Abschirmdienst eingeschaltet worden sein soll, um die Weitergabe von vertraulichen Unterlagen des Ministeriums an Journalisten zu unterbinden bzw. aufzuklären. Der MAD lehnte es 2013 jedoch ab, in dieser Angelegenheit tätig zu werden.
Damals bat die Firmenleitung von Heckler & Koch den MAD, diese negative Berichterstattung durch die Untersuchung der Weitergabe von vertraulichen Berichten zu unterbinden. Als Grund nennt Heckler & Koch die Befürchtung, dass das Unternehmen durch die konsequente Negativberichterstattung für eine Übernahme durch ausländische Investoren vorbereitet werden sollte. Der Eigentümer, Andreas Heeschen, betonte in einem Zeitungsinterview mit der „Welt“, dass in „Amerika und an der Wall Street das Modell der Rufschädigung“ üblich sei. In der Kritik steht auch die enge Verbindung von Personen der Ministerialbürokratie zum Produzenten Heckler & Koch.
Auffällig ist, dass gerade die Oppositionsparteien mit bundeswehrkritischem Hintergrund (Bündnis 90/Die Grünen) und mit radikalpazifistischer Grundausrichtung (Die Linke) eine Aufklärung fordern. Gerade die Partei „Die Linke“ sieht in den G36-Mängeln eine mögliche Gefährdung der Soldaten. Beide Parteien nutzen die Gelegenheit, um die Regierung anzugreifen und als unglaubwürdig darzustellen.

Kampfschwimmer-Kritik am Sturmgewehr bereits 2009?
Ein Vorwurf der Opposition an de Maiziére ist, dass der damalige Minister nach ersten Mängelanzeigen 2011 und 2012 nicht schnell und entschieden genug handelte. Einem Bericht der „Zeit“ nach, wiesen Spezialkräfte der Bundeswehr, die Kampfschwimmer, bereits 2009 auf Mängel hin. Beim Schießen mussten vier von 18 Waffen stillgelegt werden, weil die ersten Schüsse auf 100 Meter im Ziel lagen, aber bei nachfolgenden Schussabgaben eine Abweichung von bis zu drei Metern festgestellt wurde, so die „Zeit“ unter Berufung auf einen Teamführer eines Einsatzteams der Kampfschwimmmer weiter.
Das G36 ist nicht nur die Standardwaffe der Bundeswehr, sondern die Spezialkräfte verwenden das Gewehr und seine Varianten ebenfalls. Insbesondere die verkürzten Varianten G36K und G36C kommen den einsatztaktischen Anforderungen an polizeiliche und militärische Spezialeinsatzkräfte entgegen. Das folgende offizielle Video der Bundeswehr zeigt eine KSK-Übung und den Einsatz des G36.

Auch die Kampfschwimmer verwenden das G36, wie das Video einer Vorführung zeigt:

Hingegen zitiert die „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 23. April 2015 einen Oberfeldwebel, der 2010 in Afghanistan an einem mehrstündiges Feuergefecht teilnahm, dass man „nie rechts gezielt und links getroffen“ habe.

Sturmgewehr vieler Spezialeinsatzkräfte
Das G36 wurde von verschiedenen Spezialeinheiten unterschiedlicher Streitkräfte in mehreren Varianten angeschafft. Darunter sind folgende Einheiten und Varianten:

Bild: U.S. Army Europe Bildlizenz

Bild: U.S. Army Europe Bildlizenz

Gerade Spezialkräfte verfügen bei Beschaffungsvorhaben über eine hohe Autonomie, die sie von den Beschaffungsabteilungen der Streitkräfte unabhänigig macht. Vor allem aber prüfen und testen die Einheiten das Material vor einer Entscheidung ausführlich, da im Gegensatz zu den konventionellen Haupstreitkräften die Ausrüstung ständig einsatzbereit, fehlerfrei und in allen Ausnahmesituationen einwandfrei funktionieren muss. [ej]