Das Lagebild zum bewaffneten Konflikt im Osten der Ukraine ist aufgrund vieler unvollständiger, falscher oder irreführender Informationen nach wie vor unklar. Die Erkenntnisse sprechen jedoch dafür, dass in Osteuropa eine neue Art des bewaffneten Konfliktes geführt wird, bei der ehemalige bzw. aktuelle Angehörige russischer Spezialeinheiten die Speerspitze für eine Destabilisierung als Grund für eine „Intervention auf Einladung“ bilden. K-ISOM berichtete über die Lage in Osteuropa hier, hier und hier.
Kämpfe ohne Kriegserklärung und ohne klaren Kombattantenstatus
Ukrainische Truppen liefern sich seit Wochen heftige Gefechte mit pro-russischen Separatisten im Ostteil des Landes. Berichte über die Vernichtung eines russischen Militärkonvois am Freitag, der die Grenze zur Ukraine illegal überschritten haben soll, konnten Beobachter der OSZE nicht bestätigten. Russland wies dies als „Phantastereien“ zurück. Allerdings haben englische Journalisten den Militärkonvoi zuvor beobachtet. Sicher ist hingegen, dass die Separatisten eine ukrainische MIG-29 abgeschossen haben.
Die Ukraine bezichtigt Russland, die Separatisten personell und materiell zu unterstützen. Als gesichert gilt, dass viele Separatistenführer aus Russland kommen, in mehreren Kriegen für russische Interessen kämpften und mit hoher Wahrscheinlichkeit enge Verbindungen zu russischen Geheimdienst- und Streitkräftekreisen haben, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hier darlegt. Der neue Rebellenführer, der selbsterklärte Ministerpräsident der international nicht anerkannten Volksrepublik Donezk, Alexander Sachartschenko, benannte in einem Video die Unterstützungsleistungen – gepanzerte Fahrzeuge und Ausbildung von Kämpfern – aus Russland. Dass die russische Regierung offiziell die Aufständischen unterstützen würde, geht aus den Äußerungen nicht klar hervor. Russlands Regierung bestreitet eine offizielle, staatliche Unterstützung für die Rebellen und spricht von Freiwilligen.
Im Ukraine-Konflikt sind in den vergangenen Monaten genau wie vorher auf der später von Russland besetzten Halbinsel Krim Kämpfer ohne Hoheitsabzeichen aufgetaucht. Das Fehlen von Hoheitszeichen bei einheitlicher Uniformierung, ihre Bewaffnung, Ausrüstung und ihr professionelles Vorgehen mit großräumigen Operationen lassen jedoch laut einem Gastbeitrag des Rechtswissenschaftlers Otto Luchterhandt in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ darauf schließen, dass die Spezialeinheiten den völkerrechtswidrigen Umsturz auf der Krim und die spätere Besetzung einleiteten.
Die ebenfalls in der Ost-Ukraine gesehenen „grünen Männchen“ oder die als „Schattensoldaten“ bezeichneten Kämpfer können aufgrund des ‚privaten Charakters‘ nicht eindeutig als Partei in einem bewaffneten Konflikt identifiziert werden, obwohl sie klar Partei für die russisch-sprachige Bevölkerung in der Ost-Ukraine und für eine russische Intervention ergreifen. Die russische Regierung leugnet, dass sie eine direkte Kontrolle über die Kämpfer habe.
Viele der Kämpfer stammen aus Russland. Einige von ihnen trugen das Abzeichen der russischen Speznaz. Ausrüstungsgegenstände, Bewaffnung und Verhalten weisen ebenfalls auf russische Soldaten hin (mehr dazu hier, hier sowie in diesem Zeitungsbericht). Eindeutige, unwiderlegbare Beweise über russische Spezialeinheiten in der Ost-Ukraine existieren jedoch nicht. Als sicher kann bei der Gesamtwürdigung der Indizien jedoch gelten, dass ‚private‘, ‚freiwillige‘ Söldner im Auftrag bzw. im Sinne des russischen Militärnachrichtendienstes GRU in der Ukraine operieren. Hinzu kommen erfahrene Angehörige von ukrainischen Einheiten. So war einer der Rebellenführer, Alexander Chodakowski, Kommandeur der Anti-Terror-Einheit „Alfa“ in Donezk.
Geländegewinne für ukrainische Streitkräfte
Militärstrategisch konnten die ukrainischen Streitkräfte in den letzten Wochen Gebiete und Städte von den Aufständischen zurückerobern. Der Zustand der ukrainischen Streitkräfte im Allgemeinen ist schlecht, vor allem da kampferfahrene Soldaten fehlen. Hier eine Übersicht über die Streitkräfte der Ukraine, ein Videobericht, eine Analyse und hier eine Zustandsbeschreibung.
Fallschirmjäger und Spezialeinsatzkräfte sind vermutlich die Speerspitzen bei der Rückeroberung der Rebellen-Gebiete. Dieser Zeitungsbericht mit Bildern zeigt mit hoher Wahrscheinlichkeit ukrainische Spezialeinsatzkräfte.
Ukrainische Fallschirmjäger der 79. Luftbeweglichen Brigade, die im Grenzgebiet zu Russland stationiert waren, erlitten bei einem Artillerieangriff von russischem Territorium aus, große Verluste (Video). Wie bei den meisten Meldungen über Spezialeinsatzkräfte, gibt es keine offiziellen Erklärungen über eingesetzte Einheiten, ihre Aufträge oder die Orte von Gefechten.
Die politik-strategische Lage stellt sich so dar, dass die russische Regierung weiterhin die pro-russischen Separatisten in der Ukraine außenpolitisch unterstützt, gleichzeitig aber eine herauszögernde Verhandlungsstrategie mit dem Westen ohne konkrete Zugeständnisse verfolgt. Die Ukraine hingegen erhofft sich von den NATO- und EU-Staaten militärische Unterstützung im Konflikt gegen die Separatisten.
Es gibt Befürchtungen von Bundesaußenminister Steinmeier, dass es in der unübersichtlichen Lage zu direkten ukrainisch-russischen Kampfhandlungen kommen könnte, möglicherweise auch nur aus Versehen. Bereits vor Wochen warf der Ministerpräsident der Ukraine, Arsenij Jazenjuk, Russland vor, einen „dritten Weltkrieg“ beginnen zu wollen. [ej]