Die militärische und politische Entschiedenheit innerhalb der westlich-arabischen Anti-IS-Koalition, mit dem Ziel, den IS zu bekämpfen und stufenweise zurückzudrängen, nimmt zu. Nach Angaben der US-Streitkräfte bereitet man sich auf eine Frühjahrsoffensive vor, dessen Ziel die Eroberung der von den IS-Milizen gehaltenen zweitgrößten Stadt des Irak, Mossul, sein soll. An diesen Angriffsoperationen beteiligen sich laut Aussagen der US-Streitkräfte 12 irakische Brigaden (bis zu 25.000 Soldaten), die allerdings teilweise noch ausgebildet werden müssen.
Den Ausbildungstand und die Kampfkraft dieser Einheiten darf man jedoch angesichts der jüngsten Vergangenheit eher pessimistisch einschätzen. Zum einen konnten die Milizen des Islamischen Staates (IS) die irakischen Streitkräfte im Norden des Landes im vergangenen Jahr ohne größere Gefechte bis kurz vor Bagdad zurückdrängen. Zum anderen entdeckte man eine „Geisterarmee“ im Irak: bestehend aus ca. 50.000 Namen von Soldaten auf Gehaltsabrechnungen, die allerdings in der Realität nicht existierten. Dies war mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Grund für den Zusammenbruch von vier irakischen Divisionen bei der IS-Offensive im Juni 2014. K-ISOM berichtete über die Großlage hier und hier.
Präsident Obama hat noch nicht entschieden, ob bei der Offensive US-Spezialeinsatzkräfte als Fliegerleitsoldaten für die Koordininierung der Luftnahunterstützung die irakischen Kräfte frontnah begleiten werden, berichtete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 21. Feburar.
CSAR-Kapazitäten und die „geöffneten Tore der Hölle“
Die neue Entschlossenheit im Kampf gegen den IS betonte vor allem die jordanische Regierung. Der Innenminister Jordaniens sagte nach der Verbrennung des jordanischen Piloten durch die IS-Milizen im Januar gegenüber CNN, dass man die „Tore der Hölle“ für IS geöffnet habe. Man werde nicht stoppen, bis diese „Kräfte der Dunkelheit“ ausgemerzt seien, so der Minister weiter. Jordanien hatte als erste Vergeltungsmaßnahme das Al Qaida Mitglied Ziad Karbuli gehenkt, den angeblich jordanische Spezialeinheiten in Bagdad festnahmen. Über seine Freilassung im Gegenzug für den festgehaltenen Piloten verhandelte Jordanien mit dem IS, als diese den Piloten bereits bei lebendigem Leib verbrannt hatten.
Als unmittelbare Reaktion auf die Gefangennahme des 24-jährigen Luftwaffen-Piloten aus Jordanien stellten die Vereinigten Arabischen Emirate mehrere Woche lang ihre Luftangriffsoperationen ein, weil sie eine Gefangennahme ihrer Piloten nach Abstürzen befürchteten. Sie forderten, US-Luftrettungskapazitäten – Soldaten und Fluggerät – im Nordirak zu stationieren, was Anfang Februar nach Angaben des US-Militärs geschehen ist.
Über dem Einflussgebiet von IS abgeschossene Besatzungen müssen damit rechnen, auf bestialische Weise getötet zu werden, nachdem man sie für Propagandazwecke missbraucht haben wird.
Ferner könnte die propagandistische Wirkung solcher Bilder die Militär-Koalition bestehend aus den USA, Niederlanden, Belgien, Dänemark, Australien, Frankreich, Kanada und einigen Golfstaaten im Kampf gegen den IS beeinflussen. Daher genießt die schnellstmögliche Rettung von Besatzungen durch speziell ausgebildete, luftgestützte und bewaffnete Kampf- bzw. Luftretter (Combat-Search-and-Rescue/CSAR) in der Kampfzone Priorität.
Sehenswert sind die folgenden Eindrücke über die „Guardian Angels“ im Einsatz in Afghanistan zu Beginn dieser älteren Videodokumentation der britischen Zeitung „The Guardian“:
Weitere Eindrücke in die Tätigkeiten der Kampfretter gibt dieser Videobericht:
Diese Dokumentation zeigt ebenfalls die „PJs“ der US-Luftwaffe in Afghanistan, sowohl bei normalen als auch bei heiklen Missionen.
Das nachfolgende Video zeigt eine Übung der „PJs“ der US-Streitkräfte.
Den Ablauf einer ganzen Rettungskette samt Hubschraubertransport zeigt das nachfolgende Video der Bundeswehr:
160. SOAR im Irak?
Neben den CSAR-Einheiten der US-Luftwaffe operieren auch Einheiten des 160. Heeresfliegerregiments (160th Special Operations Aviation Regiment (Airborne)/SOAR (A) wohl schon seit längerer Zeit im Irak. Ein Bericht scheint dies nun indirekt zu bestätigen. Darin wird ein offizielles Video (s. unten) der US-Streitkräfte vom November 2014 gezeigt (das kurz danach wieder gelöscht wurde); es zeigt die Luftbetankung von „Black Hawks“ über dem Irak. Bei diesen Typen handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um Hubschrauber der „Night Stalker“.
Die Anwesenheit der Heeresflieger für Spezialoperation wäre angesichts der vermeintlichen und bestätigten Missionen von Spezialkräften im Kampf gegen IS folgerichtig. K-ISOM berichtete von den verschiedenen Einsätzen und Gefechten von Spezialkräften im jüngsten Konflikt im Irak und Syrien hier, hier, hier und hier.
Die Funktion der Spezialeinheiten
Obwohl Spezialeinsatzkräfte bei der Ausbildung und Anleitung der einheimischen Truppen eine entscheidende Rolle im Kampf gegen die IS-Kämpfer bilden werden, wusste die US-Militärführung in der Region noch im Dezember nicht, wie man sie und ihre psychologische, soziale und kulturelle Anziehungskraft besiegen könnte. Der Kommandeur der US-Spezialeinsatzkräfte des Regionalkommandos „Central Command“, Generalmajor Michael S. Nagata, musste auf einer Fachkonferenz gestehen, dass man die „Bewegung nicht versteht, und bis wir sie nicht verstehen, werden wir sie nicht besiegen können.“ Dies berichtete die „New York Times“.
Das Maßnahmenbündel, mit dem Präsident Obama im Januar seine Landsleute auf einen langen Konflikt vorbereitete, zeigt einen umfassenden Ansatz. Im Einzelnen handelt es sich um
– die Fortführung der Luftangriffe,
– den Vorschlag an den Kongress, in zeitlich eng begrenzten Räumen und in bestimmten Fällen Bodentruppen einsetzen zu dürfen, um Militärangehörige zu retten und Informationen zu sammeln (was letztlich auf Spezialeinsatzkräfte hindeutet),
– die Ausbildung von gemäßigten syrischen Oppositionskräften zusammen mit der Türkei.
Die Bedeutung von Spezialkräften wird angesichts der Bedrohungs- und Einsatzlage sowie der Brutalität des Gegners zunehmen. Bei einer Anhörung im US-Kongress nannte ein Analyst im vergangenen Jahr mehrere Gründe für die Wichtigkeit von US-Spezialeinsatzkräften im Anti-Terror-Kampf gegen dschihadistische Gruppierungen und Organisationen. US-Spezialkräfte können
– Partner vor Ort ausbilden,
– im Rahmen der unkonventionellen Kriegsführung selbst bei verdeckten Direct Action-Einsätzen die Anführer bzw. die Logistik der Gruppen angreifen.
Drohnenangriffe zur Ausschaltung von Anführern alleine werden laut Aussagen des RAND-Fachmannes aber nicht ausreichen, genauso wichtig sei die Kontrolle von Territorium durch lokale Sicherheitskräfte. Die Anhörung des Spezialisten der renommierten RAND Corporation aus dem April vergangenen Jahres findet sich hier.
K-ISOM berichtete in der Vergangenheit mehrfach über die bevorzugte US-Strategie der Regierung Obama, weniger konventionelle Hauptstreitkräfte und mehr unkonventionelle Spezialeinsatzkräfte einzusetzen (so z.B. hier). Hintergründe zum Einsatz von US-Spezialeinsatzkräften gibt es in der kommenden Spezialausgabe I/2015 “SOCOM” (Erscheinungstermin ist der 31. März 2015. Vorbestellungen unter Bestellung@k-isom.com).
Der Einsatz von Spezialkräften führte aber auch dazu, dass diese in Gefechte verwickelt wurden. So gaben die kanadischen Kräfte kürzlich zu, dass sie drei Mal Feuer auf IS-Kämpfer erwiderten, und nicht nur ein einziges Mal wie anfangs behauptet und wie K-ISOM hier berichtete.
„Bis vor die Tore der Hölle“: Geiseln und Geiselbefreiungsoperationen
Die sehr wahrscheinliche Präsenz von verschiedenen Spezialeinsatzkräften in der Region dient in erster Linie möglichen Geiselbefreiungsoperationen. Die Entschlossenheit der US-Regierung, die Mörder von US-Geiseln zu finden, drückte US-Vizepräsident Biden bereits im September letzten Jahres in einer Rede aus (s. nachfolgende Video): man werde den Verantwortlichen folgen „bis vor die Tore der Hölle“, um sie zur Rechenschaft zu ziehen.
Dass die USA dies bei Terrorverdächtigen gemacht haben, zeigten die Operationen der US Navy SEALS und der „Delta“-Einheit in der jüngsten Vergangenheit, wie K-ISOM hier, hier und hier meldete.
Bei zwei weiteren getöteten US-Geiseln in der Region, kamen die von der US-Regierung befohlenen Spezialkräfte bei Operationen gegen die Geiselnehmer zu spät, so bei der Geisel Kayla Mueller. Über diese Operation liegen noch keine näheren Angaben vor. Die „Delta“-Spezialkräfte des US-Heeres kamen bereits im letzten Sommer zu spät für die Befreiung der US-Journalisten Sotloff und Foley. Sie durchsuchten in Syrien ein Haus, in dem die Geisel vermutlich kurz zuvor noch gefangengehalten wurden. Dieser Befreiungsversuch war für den Vorsitzenden des US-Generalsstabs, Martin Dempsey, die „risikoreichste Mission“, die er je gesehen habe. [ej]