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Spezialeinheiten in Afghanistan im Kampf gegen die Taliban

Sechs NATO-Soldaten sind am vergangenen Montag bei Kabul von einem Selbstmordattentäter getötet worden. Im Süden des Landes droht die Provinz Helmand an die Taliban zu fallen. Der Sprecher des afghanischen Verteidigungsministeriums, Dawlat Wazire, sagte am Montag, dass man afghanischen „Commandos“ und Spezialeinsatzkräfte per Lufttransport nach Sangin, nordwestlich von Kandahar, verbracht habe, um eine Gegenoffensive zu beginnen. Zur Unterstützung sollen auch britische bzw. amerikanische Spezialeinsatzkräfte bzw. Spezialkräfte dorthin verbracht worden sein.
Die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan hat sich nach Einschätzung des US-Verteidigungsministeriums in der zweiten Jahreshälfte 2015 verschlechtert. Anzeichen für diese Entwicklung seien die erhöhte Anzahl effektiver Angriffe der Aufständischen sowie die gestiegene Opferanzahl, sowohl auf Seiten der regierungsseitigen Sicherheitskräfte als auch der Taliban. Trotz dieses Anstiegs sind die Regierungskräfte in der Lage, die Bevölkerungszentren zu kontrollieren. Gleichzeitig verhinderten sie signifikante Geländegewinne der Taliban, so der Bericht weiter.

Soldaten der US Army Special Forces, Combined Joint Special Operations Task Force-Afghanistan, nehmen am 24. Februar 2014 an einer Schießübung auf einer Anlage der Provinz Kabul, dem sogenannten “Stress shoot” teil. Diese Übungsvariante simuliert das Verhalten im Feuergefecht. Bild: DoD/Spc. Connor Mendez, U.S. Army/Released Bildlizenz

Soldaten der US Army Special Forces, Combined Joint Special Operations Task Force-Afghanistan, nehmen am 24. Februar 2014 an einer Schießübung auf einer Anlage der Provinz Kabul, dem sogenannten “Stress shoot” teil. Diese Übungsvariante simuliert das Verhalten im Feuergefecht. Bild: DoD/Spc. Connor Mendez, U.S. Army/Released Bildlizenz

Laut Auswärtigem Amt ist allerdings die Verbreitung der Taliban im Land umfangreicher als vor dem Eingreifen westlicher Streitkräfte im Jahr 2001, so die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ unter Berufung auf einen internen Lagebericht der deutschen Botschaft in Kabul.
Der Bundestag hat angesichts der Sicherheitslage beschlossen, die Obergrenze für die in Afghanistan eingesetzten Soldaten von 850 auf 980 zu erhöhen. Zugleich wird deren Einsatz im Rahmen der Unterstützungsoperation „Resolute Support“ um ein weiteres Jahr bis Ende 2016 verlängert. Die Entscheidung für die Verlängerung fand auch unter dem Eindruck der jüngsten Kämpfe in Afghanistan statt.

Taliban-Angriffe: Spezialeinheiten im Einsatz

Afghanische Spezialkräfte haben sich Mitte Dezember ein 12-stündiges Gefecht mit Taliban-Angreifern in Kabul geliefert. Angreifende Taliban hatten zunächst ein Tor in der Nähe der Botschaft Spaniens freigesprengt, danach drangen sie in ein naheliegendes Gästehaus ein und verschanzten sich dort. Neben zwei Zivilisten starben zwei spanische und zwei afghanische Polizisten. Der Innenminister Spaniens, Fernández, bezeichnete den Anschlag als einen „Angriff auf Spanien“. Allerdings war die Botschaft wohl nicht das Hauptangriffsziel der Taliban.
Nach Angaben eines BBC-Journalisten vor Ort waren an dem Gegenangriff nicht nur afghanische, sondern auch ausländische Spezialeinheiten beteiligt. Diese Fotostrecke zeigt die verschiedenen Einsatzkräfte am Ort des Geschehens. Bereits in der Vergangenheit griffen bei Angriffen dieser Art ausländische Spezialeinheiten auf Seiten der afghanischen Sicherheitskräfte in die Bekämpfung von Terroristen ein, wie K-ISOM hier berichtete.
Immer wieder gelingt es den Taliban, spektakuläre Einzelerfolge gegen die Regierungstruppen zu erzielen. So griffen Taliban am 8. Dezember den zweitgrößten Flughafen Afghanistans in Kandahar an. 11 mit Sprengstoff-Westen ausgestattete Taliban drangen auf das gut gesicherte Gelände und nahmen dort viele Zivilisten als Geiseln. Nach insgesamt 27 Stunden sprengten sich die überlebenden Terroristen in die Luft. 50 Personen kamen dabei ums Leben.

Taliban weit von Niederlage entfernt

Im Rahmen der Operation „Resolute Support“ sind in Afghanistan zur Ausbildung, Unterstützung und Anleitung noch ca. 13.000 Soldaten aus 42 Nationen unter NATO-Kommando stationiert. Ein nicht namentlich genannten deutscher General wird im Hinblick auf die gesellschaftlichen Fortschritte seit 2001 in dieser Zeitungsreportage der „Zeit“ folgt zitiert: „Wir haben viel erreicht. Wir sind in ein Land gekommen, das noch in der Steinzeit war.“
Die allgemeine Sicherheits- und Bedrohungslage im Land stellt sich widersprüchlich dar. Auf der einen Seite sind die afghanischen Sicherheitskräfte in der Lage, Sicherheit zu gewährleisten. Auf der anderen Seite benötigen sie die technische und taktische Unterstützung der NATO-Streitkräfte. Über die Lage in Afghanistan und die Spezialeinsatzkräfte im Land berichtete K-ISOM hier, hier und hier.

“Commando”-Rekruten der Nationalarmee Afhganistans sichern während andere Rekruten die Abschlussübung im “Camp Commando” in der Nähe Kabuls am 9. Februar 2014 absolvieren. Bild: DoD/by Sgt. Jared Gehmann/Released Bildlizenz

“Commando”-Rekruten der Nationalarmee Afhganistans sichern während andere Rekruten die Abschlussübung im “Camp Commando” in der Nähe Kabuls am 9. Februar 2014 absolvieren. Bild: DoD/by Sgt. Jared Gehmann/Released Bildlizenz

Zu den NATO-Kräften gehören nach wie vor Spezialeinsatzkräfte. Sie sind in der “Special Operations Joint Task Force – Afghanistan/NATO Special Operations Component Command – Afghanistan” zusammengefasst. Diesem Einsatzkommando unter dem Kommando von Generalmajor Swindwell unterstehen zwei Einsatzgruppen (Stand: Oktober 2015):

– „Special Operations Task Force – Afghanistan/U/I Special Force Battallion (USA)“ in Bagram zur Unterstützung der Spezialeinsatzkräfte des Verteidigungsministeriums Afghanistans
– „ISAF Special Operations Forces (UK/Australia)“ in Kabul zu Unterstützung der Spezialeinsatzkräfte des afghanischen Innenministeriums (so wie die Kriseninterventions-Einheiten der Polizei im Video weiter unten)

Ihre genaue Stärke ist nicht bekannt, ebenso nicht, um welche Einheiten es sich im Wesentlichen handelt.
Nach Angaben von Generalmajor Swindwell, dem Kommandeur der Spezialeinheiten der NATO, greifen zum Beispiel US Green Berets sechs bis zehn Mal in der Woche in das Geschehen ein und begleiten afghanische Kräfte bei Operationen. Afghanische Spezialeinsatzkräfte führen selbständig durchschnittlich 140 Operationen im Land durch, so Swindwell weiter.

Das kurze TV-Portrait stellt einen Angehörigen der afghanischen CRU (Kriseninterventions-Einheit/CRU – Crisis Interventions Unit) vor.

Die Streitkräfte Afghanistans verfügen über ein eigenes Kommando für Spezialeinsatzkräfte. ANASOC (Afghan National Army Special Operations Command) unterstehen insgesamt 11.700 Soldaten.
ANASOC unterstehen zwei Brigaden für Spezialoperationen mit insgesamt zehn Bataillonen (Kandaks bzw. „Commando“-Kandaks). Jedes Bataillon verfügt über je drei „Commando“-Kompanien (siehe unten Videobericht der NATO aus dem Jahr 2011). Ein Kandak ist in Kabul stationiert, die anderen neun operieren gemeinsam mit den regional dislozierten Korps der Streitkräfte bei Counterinsurgency- und Counterterror-Operationen. Während die „Commando“-Kandaks Tier -3-Einheiten darstellen, stellte man aus den zwei Brigaden heraus ein Bataillon Spezialeinsatzkräfte auf (Tier 2-Niveau).
Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums konnten die Spezialeinsatzkräfte gerade in der jüngsten „Kampfsaison“ zeigen, dass sie effektiv die Taliban unter Druck setzen können. Auf Luftunterstützung seien sie jedoch angewiesen, wenn sie gegen Feindkräfte in festen Stellungen vorgehen müssten.

Über die Taliban-Stärke gibt es keine sicheren, öffentlich bekannten Angaben. Man muss von einem Mindestumfang eines fest organisierten Kerns von 20.000 bis 30.000 Kämpfern ausgehen. Andere Schätzungen gehen von bis zu 60.000 Kämpfern aus.

Das Video der NATO zeigt einen zurückliegenden Einsatz einer CRU:

Spezialeinsatzkräfte versagen

Kämpfer der Taliban-Milizen hatten bereits im September einen weiteren symbolischen Sieg errungen, der allerdings nicht von langer Dauer war. Überraschend eroberten sie die nordafghanische Stadt Kunduz.
Afghanische Streitkräfte drängten sie erst nach zwei Wochen zurück. Unterstützt und taktisch angeleitet wurden die Afghanen dabei von rund 100 Spezialeinsatzkräften der USA und ihrer Verbündeten, berichtet das „Wall Street Journal“.
Bei den Gefechten in Kundus kam es zu einem folgenschweren Fehler. Der Kommandeur der US-Truppen, General Campbell, erklärte nach einer Untersuchung, dass der US-Luftangriff auf ein den Truppen bekanntes Krankenhaus das Resultat „menschliches Versagens“ und des Nichteinhaltens von Einsatzregeln gewesen war.
US Special Forces auf dem Boden forderten bei den Kämpfen in und um Kundus Luftnahunterstützung einer AC-130 an, konnten das Ziel aber nur visuell beschreiben. 29 Minuten lang beschoss eine AC-130 ein Krankenhaus, nicht aber das hunderte Meter entfernte Hauptquartier des afghanischen Geheimdienstes, wo sich Taliban verschanzt hatten. Bei dem Angriff kamen 30 Personen ums Leben, 37 wurden verletzt.

“Commandos” des 2. Kandaks für Spezialoperationen sichern vom Dacha aus im Rahmen eines Einsatzes am 2. Oktober 2012 im Sajed Abad-Distrikt in der Provinz Wardak. Ziel der Operation war die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Aufständischen und die Nicht-Zulassung von sicheren Rückzugsgebieten. Bild: DoD/Pfc. Brian Chaney, U.S. Army/Released Bildlizenz

“Commandos” des 2. Kandaks für Spezialoperationen sichern vom Dacha aus im Rahmen eines Einsatzes am 2. Oktober 2012 im Sajed Abad-Distrikt in der Provinz Wardak. Ziel der Operation war die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Aufständischen und die Nicht-Zulassung von sicheren Rückzugsgebieten. Bild: DoD/Pfc. Brian Chaney, U.S. Army/Released Bildlizenz

Die Waffen und ihre Wirkung eines „Gunships“ lassen sich in diesem Video einer Übung erahnen. Als Gründe für die Fehler nannte Campbell neben dem menschlichen Versagen auch technische Mängel (die eingegeben Zieldaten waren korrekt, aber die Kampfentfernung der AC-130 war aufgrund des größeren Sicherheitsabstandes zu ungenau) und die Übermüdung der Soldaten. Einige Soldaten sind suspendiert worden. Nähere Informationen und die Pressekonferenz der Verantwortlichen zu dem Vorfall finden sich hier.

“Commandos” der afghanischen Nationalarmee, 3. Kompanie/7. Kandak, feuern auf Ziele zur Überprüfung der Genauigkeit der Nachtsicht- und Zielgeräte. Helmand-Provinz, 11. März 2013. Bild: DoD7Sgt. Benjamin Tuck, U.S. Army/Released Bildlizenz

“Commandos” der afghanischen Nationalarmee, 3. Kompanie/7. Kandak, feuern auf Ziele zur Überprüfung der Genauigkeit der Nachtsicht- und Zielgeräte. Helmand-Provinz, 11. März 2013. Bild: DoD7Sgt. Benjamin Tuck, U.S. Army/Released Bildlizenz

Special Boat Service in Kundus

An den Kämpfen in Kundus nahmen auch Angehörige der britischen Spezialkräfte teil, berichtet die „Daily Mail“. Der britische Special Boat Service (SBS) war dem Bericht zufolge in Orts- und Häuserkämpfe verwickelt, so berichtete ein Angehöriger der Einheit der „Daily Mail“. Zudem führte die Einheit den Vorstoß auf die nahegelegene Luftwaffenbasis an. Die SBS-Einheit sei zuvor mit US-Transporthubschraubern aus Kabul eingeflogen worden, um dann mit gepanzerten Fahrzeugen nach Kundus selbst zu fahren.

US Green Beret: Ehrenhaftes Handeln oder unehrenhaften Entlassung?

Wie in der Vergangenheit kommt es zwischen den US Special Forces und den afghanischen Stellen zu Spannungen. Der am 1. November aus den US-Streitkräften entlassene Sgt. 1st Class Charles Martland der US Special Forces könnte im Januar wieder in das US-Heer zurückkehren. Martland hatte bereits 2011 einen afghanischen Polizei-Kommandeur niedergeschlagen, als dieser wohl andeutete, dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe richtig seien. Die Mutter eines 12-jährigen afghanischen Jungen berichtete, das ihr Sohn wochenlang von dem afghanischen Polizei-Kommandeur an einen Pfosten gefesselt worden sein soll und mehrfach vergewaltigt wurde. Der folgende CNN-Bericht fasst den Sachverhalt zusammen.

Von der Taliban-Geisel zu lebenslänglicher Militärhaft?

Dem Unteroffizier der US-Streitkräfte Bowe Bergdahl droht eine lebenslange Haftstrafe in den USA. Dem im Frühjahr 2014 nach fünf Jahren aus Taliban-Geiselhaft entlassenen Heeressoldaten droht ein Verfahren vor einem Militärgericht wegen Fahnenflucht und Fehlverhaltens vor dem Feind. Für den Fall, dass die Geschworenen des Militärgerichtes zu der Überzeugung kämen, dass Bergdahl seine Kameraden, die tagelang im Feindgebiet nach ihm suchten und von einer Gefangennahme ausgingen, in Gefahr gebracht hat, so könnte gegen ihn die Höchststrafe verhängt werden.
Bergdahl war in Afghanistan stationiert (hier ein Video, das in Tage vorseinem Entfernen von der Truppe zeigte). Er selbst gab kürzlich zu, sich aus eigenem Antrieb von seiner Einheit entfernt zu haben. Er wolle damit zeigen, dass er „ein echter Kerl“ sei, „so wie Jason Bourne“, meinte Bergdahl. Damit spielte er auf die erfolgreiche Action-Spielfilm-Reihe an, in der Matt Damon einen Auftragskiller für die CIA spielt.
Über den Geiselaustausch und die Übergabe von Berdahl an US-Spezialkräfte in Afghanistan berichtete K-ISOM an dieser Stelle.
Weiterführende und ergänzende Links:

– Lesenswerte, aber bereits ein Jahr alte Reportage der FAZ über Afghanistan, das deutsche Engagement und die Lehren
– Facettenreiche ARD-Reportage vom Frühjahr 2015 über die Lage im Land, den Abzug der Kampftruppen und die Perspektiven für die Zukunft
NZZ-Reportage aus dem letzten Jahr über die Motivation der Taliban-Unterstützer
[ej]