Die instabilen Lagen und akuten Krisen in einigen Staaten Nordafrikas und des Nahen bzw. Mittleren Ostens haben Eingreifoperationen von Streitkräften westlicher Staaten wahrscheinlicher werden lassen. Aufgrund des Angriffs 2012 auf die diplomatische Vertretung der USA im libyschen Bengasi (K-ISOM berichte hier, hier und hier), die Unruhen in Libyen 2014 oder aufgrund der im letzten Jahr unaufhaltsam auf Bagdad und die westlichen Botschaften vorrückenden Milizen des Islamischen Staates trainierten viele Einheiten verstärkt militärische Evakuierungsoperationen (MilEvakOp).
Bei militärischen Evakuierungsoperationen handelt es sich um räumlich und zeitlich begrenzte Operationen zum Schutz bzw. zur Rettung von eigenen Staatsbürgern aus einem feindlichen und akut gefährlichen Umfeld in einem anderen Land. Im Rahmen eines solchen Einsatzes wenden die Einsatzkräfte in einem begrenzten Umfang militärische Gewalt an. Wie brisant militärische Evakuierungsoperationen sein können zeigte sich beim Beschuss von US Navy SEALs im Südsudan, wie K-ISOM hier meldete.
Unsichere politische Lage – Sicherheit für eigene Staatsangehörige
Krisenherde bedeuten gerade für Bürger aus westlichen Staaten immer eine konkrete Bedrohungslage. Sie sind für kriminelle Gruppierungen wegen möglicher und wahrscheinlicher Lösegeldzahlungen ein lohnendes Ziel. Rein politisch motivierte Gruppierungen sehen westliche Geiseln als eine Möglichkeit an, die jeweiligen Regierungen öffentlich unter Druck zu setzen, Gesinnungsgenossen freizupressen oder schlicht durch die mediale Demütigung ihr eigenes Ansehen zu verbessern und Stärke zu demonstrieren.
Um eine direkte Gefahr für eigene Staatsbürger in Drittländern auszuschließen, evakuieren vor allem westliche Regierungen ihre Bürger nach einem Notfallplan, der im Idealfall unter größtmöglicher Geheimhaltung durchgeführt wird. Das folgende Video zeigt die Evakuierung von Zivilisten durch französische Kräfte im Juli 2014 vom libyschen Festland auf küstennah stationierte Kriegsschiffe. An den Evakuierungsmaßnahmen sollen auch Gendarmen der GIGN und des Commando Hubert teilgenommen haben (hier mehr zum Commando Hubert).
Militärische Evakuierungsoperationen bedeuten nahezu immer, dass noch während einer allgemeinen Bedrohungslage oder gar in einer akuten Gefahrenlage und nach nur kurzfristiger Einsatzplanung bewaffnete Kräfte in einen unübersichtlichen Einsatzraum entsendet werden müssen. Gerade in zerfallenden Staaten mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen ist die Feindlage unklar und die Fähigkeiten für taktische Eigeninitiative begrenzt. Das folgende Video zeigt Eindrücke einer Evakuierungsübung der kanadischen Streitkräfte 2013, die teilweise in der Dunkelheit stattfand.
Bewaffnete Rückführungen mit Fallschirmjägern und Special Boat Service
Um die Lage zu sondieren treffen in der Regel Vorauskräfte im jeweiligen Einsatzraum ein, um mögliche allgemeine Bedrohungsquellen oder gar eine konkrete Feindlage aufzuklären. Für diese Aufgabe sind insbesondere Spezialkräfte prädestiniert. Nach den Vorauskräften werden die Hauptkräfte in den Einsatzraum verbracht.
Die Bundeswehr war in der Vergangenheit ebenfalls an der bewaffneten Rückführung von Zivilisten beteiligt:
- Bei der „Operation Libelle“ in Albanien evakuierte man 1997 deutsche Zivilisten aus Tirana. Hier dazu ein TV-Bericht von damals; in diesem Video ist das Feuergefecht der Bundeswehr bei der Evakuierung zu sehen. K-ISOM berichtete über den Einsatz in Albanien im Heft 2-2010.
- 2011 brachte die Bundeswehr im Rahmen der „Operation Pegasus“ in Libyen 262 deutsche Bürger und Zivilisten anderer Staaten bei einer Evakuierungsoperation in Sicherheit. Das nachfolgende Video der Bundeswehr zeigt neben der Einschätzung der Verantwortlichen auch geheime Bilder des Einsatzes.
Als Sicherungskräfte in Libyen setzte man Soldaten des Fallschirmjägerbataillon 373 und des Feldjägerbataillons 252 ein.
In Libyen wurden damals bei einer Rettungsoperation für Arbeiter einer Ölförderanlage Recherchen der BBC zufolge auch zwei Dutzend Soldaten des britischen Special Boat Service (SBS) als Sicherungskräfte eingesetzt.
Übungsgeschehen und Fähigkeiten im Überblick
Das Zusammenspiel der militärischen Einheiten mit den Kräften vor Ort sowie den Ablauf von Evakuierungen trainierten in den vergangenen Monaten unterschiedliche Einheiten aus verschiedenen Streitkräften. Darunter waren Spezialverbände wie die Division Schnelle Kräfte, aber auch spezialisierte Teileinheiten wie die Marineinfanterie oder Fallschirmjäger.
Das im vergangenen Jahr neu aufgestellte Seebataillon der Bundeswehr trainierte in Eckernförde eine Evakuierung durch eine Seeabholung, wie der nachfolgende Videobericht der Bundeswehr zeigt.
Im November letzten Jahres fand in Belgien die Übung „Sturmflut“ statt, an der neben Einheiten der belgischen Leichten Brigade auch deutsche Kräfte teilnahmen, wie man im nachstehenden Video sehen kann. Bestandteil der Übung war eine Vorführung für den belgischen König und für die Presse. Zur Leichten Brigade Belgiens gehören u.a. Fallschirmjäger und die belgische Special Forces Group.
Angesichts der krisenhaften Lagen in einigen Ländern Afrikas trainierten US Marines der „Special-Purpose Marine Air-Ground Task Force Crisis Response-Africa“ Ende Januar 2015 auf der Morón Luftwaffenbasis in Spanien ihre Reaktionsschnelligkeit im für Notfälle.
Über die SP-MAGTF-CR-AF berichtete K-ISOM in dieser Meldung.
Die Fähigkeit zum schnellen Transport eigener Kräfte und das punktgenaue Absetzen in urbanen Räumen ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für den Erfolg von Evakuierungsoperationen, wie die nachfolgenden beiden Videos von Übungen aus dem letzten Jahr zeigen. Trainiert wurde zum einen die Sicherung eines Botschaftsgeländes bzw. der Schutz der Diplomaten. Zum anderen übte man auch den Ablauf bei einer Evakuierung des Gebäudes.
Dass solche Szenarien realistisch sind, zeigte sich bereits Ende 1979. Bei der Revolution im Iran stürmten Iraner das Botschaftsgelände der USA in Teheran und nahmen über 50 US-Bürger über 400 Tage als Geiseln. Das Geiselbefreiungsunternehmen des US-Militärs scheiterte damals bereits in den Ansätzen.
Die 82. Airborne Division der USA führte im vergangenen Jahr in Fort Bragg eine Übung durch, bei der das Zusammenwirken der Luft- und Bodenkomponenten bei einer Evakuierung im fiktionalen Staat „Atropia“ trainiert wurde (Fotostrecke hier).
„Schneller Adler“ der DSK
Im Jahr 2014 trainierten Einheiten der Division Schnelle Kräfte zwei Wochen lang Evakuierungen von Zivilpersonen aus einer Krisenregion. Im folgenden Video sieht man Kräfte der Luftlandebrigade 26.
Militärische Evakuierungen erfordern eine enge Abstimmung der verschiedenen Verfahren und Abläufe der Teilstreitkräfte sowie den Umgang mit Zivilisten im Ernstfall. Die Luftlandebrigade 26 trainierte im Rahmen der Übung auch die schnelle Luftevakuierung auf dem Gelände eines Kraftwerkes, was im folgenden Video zu sehen ist. Der Umgang mit Nicht-Kombattanten und die Anweisungen für die Zivilisten spielten dabei eine entscheidende Rolle.
Bundeswehrübung am Kraftwerk Ensdorf from VSE AG on Vimeo.
Eine Bilderstrecke der Evakuierungsübung „Pulsar 2015“ findet sich hier. Über die Übung „Schneller Adler“ im Jahr 2013 berichte K-ISOM in dieser Meldung.
Die öffentliche Vorführung einer Rettungsoperation der Luftlandebrigade 26 ist im folgenden Video zu sehen.
Die Division Schnelle Kräfte ist angewiesen, ständig Kräfte für derartige Einsätze vorzuhalten. Innerhalb von 24 Stunden sind die ersten Kräfte verlegefähig. Über die Division Schnelle Kräfte berichtete K-ISOM hier und hier, über die zentrale Funktion des Kommandos Spezialkräfte beim „Retten und Befreien“ an dieser Stelle.
Parlamentsarmee auch im Notfall? Rechtliche Aspekte in Deutschland
Die „Operation Pegasus“ in Libyen 2011 fasste einer der Verantwortlichen wie folgt zusammen: „Alle Soldaten heil zurück. Alle Evakuierten in Sicherheit. Auftrag ausgeführt!“. Allerdings informierte die damalige Bundesregierung von CDU/CSU und FDP über diesen Auftrag nicht das Parlament. Für die Verantwortlichen handelte es sich um einen humanitären Einsatz zum Zwecke der Rettung eigener Staatsbürger, bei dem der Bundestag nicht konsultiert werden müsste. Aus Sicht der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hätte der Einsatz – ein bewaffneter Einsatz außerhalb Deutschlands – allerdings im Nachhinein durch das Parlament mandatiert werden müssen. Sie reichten daher Klage gegen die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht ein (mehr dazu hier und hier). Ende Januar fand in Karlsruhe die mündliche Verhandlung statt. Ein Urteil wird erst in einigen Monaten erwartet.
Weiterführende und ergänzende Links:
- Bilderstrecke einer Evakuierungsoperation in Österreich hier.
- Bilderstrecke von „Schneller Adler 2011“ bei der Evakuierung einer Ferienanlage.
- Eine völkerrechtliche Betrachtung des Bundeswehreinsatzes 2011 in Libyen findet sich hier.
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